Wie führen UUX-Metriken die digitale Transformation in Unternehmen und Behörden zum Erfolg? – Fünf Fallbeispiele aus der Praxis

Nicht nur in digitalen Produkten sollten UUX-Metriken intensiver genutzt werden, um die Digitalisierung menschzentrierter zu gestalten. Auch innerhalb von Unternehmen und Behörden gibt es großen Nachholbedarf: Im Rahmen der Digital Employee Experience müssen wir uns intensiver mit der Verbesserung der intern genutzten Softwareanwendungen auseinandersetzen.

Seit ich Ende 2022 im Podcast von heise [1] über die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung gesprochen habe, werde ich immer wieder auf unseren Ansatz der menschzentrierten Digitalisierung [2] angesprochen. Im Podcast ging es um die Frage, was der öffentliche Sektor, also unsere Verwaltungen in Bund, Länder und Kommunen aus meiner Sicht jetzt tun müssen, um die digitale Transformation gut zu meistern und eine positive, digitale Employee Experience zu erzeugen. Eine Frage, die auf den ersten Blick einfach klingt, aber meine Antwort hat bei dem einen oder der anderen zunächst für etwas Verwirrung gesorgt.

Ich habe nämlich nicht gesagt: Wir müssen mehr digitalisieren; jeder Service, den wir Bürger*innen von öffentlichen Stellen nutzen, muss fortan in digitaler Form zur Verfügung gestellt werden. Ich habe nicht gesagt: Wir müssen jetzt das OZG (Onlinezugangsgesetz) [3] fortschreiben und weiterentwickeln; wir brauchen mehr Ressourcen, insbesondere mehr Geld und mehr Personal für die Verwaltungsdigitalisierung. Ich habe auch nicht gesagt: Wir müssen jetzt unsere Technologien besser integrieren; wir müssen jetzt durch bessere Verzahnung Doppelarbeit abbauen, unsere Dienstleistungen konsolidieren und eine konsistente IT-Strategie für Bund, Länder und Kommunen entwickeln. Sondern meine zentrale Forderung war viel einfacher:

Wir müssen mehr messen

Prof. Dr. Simon Nestler im Podcast “heise meets” [1]

Diese Aussage sorgte sowohl im Podcast selbst als auch danach für erhebliche Verwirrung. Mehr messen? Ist das wirklich die Lösung für alle Probleme, die wir im Zusammenhang mit der digitalen Transformation haben? Sorgt das wirklich für eine bessere Employee Experience in Zeiten des mobilen und hybriden Arbeitens?

Die Probleme von Unternehmen und Verwaltungen sind einander viel ähnlicher als man denkt

Aber woher kommt die Verwirrung? Irritiert uns die Aussage in ihrer Schlichtheit und Banalität oder stellen wir plötzlich fest: Die Probleme, die wir in der öffentlichen Verwaltung so gerne und so öffentlichkeitswirksam beklagen, haben wir in ähnlicher Form auch in unseren Unternehmen. Eines ist ganz klar: Wenn es um die Produkte geht, dann haben die Unternehmen das Thema UUX (Usability und User Experience) größtenteils schon voll durchdrungen: Es gibt klare Verantwortlichkeiten und bis in die obersten Ebenen ist klar, dass UUX unverzichtbar ist.

Case #1: Vertrieb. Eine Frage der Effizienz?

Wir werden als Hersteller im Jahr 2023 nur dann erfolgreich Autos verkaufen, wenn unser Infotainment-System eine gute User Experience (UX) bietet. Und auch der Kauf des Autos selbst muss für die Kundinnen und Kunden zu einem echten Erlebnis werden.

Wenn wir diese Aktivitäten aus der Behördenbrille betrachten, so wird deutlich: Die Fahrzeughersteller haben das OZG im übertragenen Sinne bereits umgesetzt. Wir bieten unseren Kund*innen im Jahr 2023 effektive, effiziente und zufrieden stellende Lösungen. Wir berücksichtigen dabei gleichzeitig auch Ästhetik, Erlebnisse und gestalten echte Services. Doch wie sieht es eigentlich hinter den Kulissen aus? Wie steht es um die digitale Employee Experience in unserem Unternehmen? Ist das, was wir im öffentlichen Sektor gerade unter dem Begriff Volldigitalisierung [4] diskutieren, in Unternehmen bereits Alltag?

Unser System für die Unterstützung der Vertriebsprozesse ist einfach nicht effizient genug. Es gibt zu viele Masken; ich muss Informationen häufig doppelt eintragen. Mit einem besseren System könnte ich 20 bis 30 Prozent mehr Autos in der gleichen Zeit verkaufen.

Mark*, 35, Sales-Mitarbeiter bei einem Autohändler in Süddeutschland

Was hat das nun mit den von mir geforderten Messungen zu tun? Dieser Ansatz führt uns direkt zum Kern des Problems: Wir messen dabei nicht – wie es häufig praktiziert wird – die Performance unserer Mitarbeiter*innen. Nein, wir konzentrieren uns auf die Performance des Systems. In einem so genannten Usability-Gutachten ermitteln wir mit quantitativen Metriken, wie lange die häufigsten Prozesse mit dem System dauern. Gleichzeitig identifizieren wir durch qualitative Beobachtungen der Interaktion konkrete Verbesserungspotenziale.

Durch den Abgleich mit den weiteren Stakeholder*innen identifizieren wir diejenigen Verbesserungen, bei denen die erforderlichen Investitionen niedrig und die erwarteten Effekte hoch sind. In einem ersten Schritt setzen wir die Verbesserungen um, bis sie für die Beschäftigten erlebbar sind. Und dann? Genau! Testen wir das System erneut. Natürlich wissen wir, wie wir es theoretisch besser machen könnten. Aber wir sollten uns nicht auf Hypothesen und Vermutungen verlassen, wenn wir ein großes Update des Systems machen. Sondern wir sollten sagen können:

In einem Usability-Gutachten hat sich gezeigt, dass die vorgenommenen Optimierungen die Interaktion mit dem System um 8.5% effizienter machen. Dieses Metriken sind für uns eine solide Grundlage, das Update nun flächendeckend auszurollen.

Bei Sales-Prozessen in Unternehmen gibt es großes OptimierungspotentiaL Viele Systeme für die Unterstützung der Vertriebsprozesse sind noch nicht effizient genug.

Versetzen wir uns für einen Moment in die Rolle von Mark. Mark wird nun nicht mehr genervt sein, dass ein neues Systemupdate seine gewohnten Arbeitsweisen verändert und er einzelne Vorgehensweisen neu lernen muss. Sondern er wird im Hinterkopf haben, dass er – sobald die Einarbeitung abgeschlossen ist – ungefähr 8 Prozent mehr Provision in der gleichen Zeit verdienen wird.

Case #2: Human Resources. Das Streben nach Mitarbeiter*innenzufriedenheit?

Damit sind wir direkt bei unserem zweiten Fallbeispiel: Als Pharmaunternehmen in einer ländlichen Region können wir dem Fachkräftemangel langfristig nur dann wirksam begegnen, wenn wir unseren Mitarbeitern ein attraktives Arbeitsumfeld bieten. Modelle wie die 3- oder 4-Tage-Woche machen uns zwar als Arbeitgeber attraktiv, sind aber im Hinblick auf den Fachkräftemangel eher kontraproduktiv.

Auch bei diesem Aspekt der Employee Experience sehen wir viele Gemeinsamkeiten zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft: Einen nationalen Überbietungswettbewerb um die beste Arbeitgeberattraktivität können wir – gesamtgesellschaftlich betrachtet – nur verlieren. Die einen werden aufgrund der Gesamtproblematik nicht genügend Arbeitskräfte gewinnen können, die anderen werden ihre Attraktivität immer weiter steigern müssen. Haben wir in unserem Unternehmen schon eine Idee, wie das gelingen kann?

Die Zufriedenheit unserer Mitarbeiterinnen hat für uns oberste Priorität. In vielen Bereichen ist uns bereits klar, wie diese Zufriedenheit gesteigert werden kann. Im Kontext der Digitalisierung sind jedoch nach wie vor noch zu viele Fragen offen.

Anne*, 52, Leiterin Human Resources bei einem deutschen Pharmakonzern

Im Themenkomplex „Arbeitgeberattraktivität und Digitalisierung“ denken wir vielleicht an mobile Büros und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Für uns Wissensarbeiter*innen funktioniert das sehr gut, z.B. für die Mitarbeiter*innen der Personalabteilung sind diese Ansätze ein gangbarer Weg: Wenn die Systeme von überall genutzt werden können (was dank der Vielzahl an cloudbasierten Lösungen kein wirkliches Problem mehr ist), können diese Gruppen im Jahr 2023 Arbeitszeit und Arbeitsort deutlich flexibler wählen als noch vor fünf Jahren.

Doch wie sieht es mit denjenigen aus, die im Pharmakonzern direkt für die Produktion verantwortlich sind? Im konkreten Fallbeispiel arbeitet die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der Produktion. Die große Vision im Themenfeld “Digitalisierung” könnte – je nach Unternehmen – die nahezu vollständige Automatisierung des Produktionsprozesses sein. Wäre damit das Problem gelöst? Die Produktion läuft nahezu eigenständig und die Mitarbeiter*innen arbeiten alle von zu Hause aus? Für die nächsten 10 oder 20 Jahre klingt das zwar nicht unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich. Wenn wir hier kurzfristig keine bessere Lösung finden, wird uns diese langfristige Perspektive mangels geeigneter Fachkräfte nicht mehr retten.

Was kann Digitalisierung also in der Zwischenzeit bewirken? Es gibt viele Parallelen zu dem Autobauer aus der ersten Fallstudie – mit einem zentralen Unterschied: Aus HR-Sicht ist eine weitere Dimension von Bedeutung; die Beschäftigten wollen nicht nur effizient arbeiten, sondern die Arbeit soll auch als zufrieden stellend erlebt werden. In einer digitalisierten Arbeitswelt adressieren die Metriken aus dem Themenkomplex UUX genau diese zentrale Herausforderung. Der Fokus für Human Resources verschiebt sich durch die UUX Perspektive weg von attraktiven Begleit- und Zusatzangeboten hin zu erfüllender Arbeit.

Human Ressources und Mitarbeiter*innenzufriedenheit: Das Streben nach zufriedenen Mitarbeiter*innen hat in den meisten Unternehmen oberste Priorität. Doch was bedeutet das für die Digitalisierung?

Usability-Gutachten können hier – analog zum ersten Fallbeispiel – qualitativ diejenigen Prozessschritte identifizieren, die sich besonders negativ auf die Zufriedenheit auswirken. Und sie können mit den entsprechenden quantitativen Scores die Zufriedenstellung aller zum Einsatz kommenden Systeme messen. Schlecht an die Bedürfnisse der Menschen angepasste Systeme sind eine der wichtigsten Quellen für Überforderung und Überlastung unserer Beschäftigten – und damit auch eine Ursache für psychische Erkrankungen unserer Mitarbeiter*innen.

Wenn wir Digitalisierung nutzen, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das unsere Beschäftigten nicht überfordert und nicht krank macht, leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Unternehmenskultur. Eine menschzentrierte Digitalisierung ist ein zentraler Wettbewerbsvorteil in Zeiten des wachsenden Fachkräftemangels.

Case #3: Wissensmanagement. Wie digitalisieren wir effektiv?

In unserem dritten Fallbeispiel beschäftigen wir uns mit einem mittelständischen Unternehmen, das Reinigungs- und Pflegeprodukte herstellt. Das Unternehmen hat in den letzten Jahren eine solide IT-Infrastruktur aufgebaut, um die Mitarbeiter in ihren täglichen Arbeitsprozessen bestmöglich zu unterstützen. Das Unternehmen hat ungefähr 500 Mitarbeiter*innen, von denen ca. 30 Personen dem CIO zugeordnet sind. Der CIO beschreibt seine Digitalisierungsstrategie wie folgt:

Wir versuchen durch jegliche Digitalisierung einen praktischen Mehrwert zu erreichen. Bei neuem Softwarebedarf sondieren wir den Markt und unsere Stakeholder*innen wählen gemeinsam beste Alternative. Wir brauchen als kleineres Unternehmen einen pragmatischen und schlanken Ansatz.

Oliver*, 47, CIO bei einem mittelständischen Unternehmen für Reinigungs- und Pflegeprodukte

Dieser Ansatz findet sich in fast allen Branchen und in vielen kleinen und mittleren Unternehmen. Auch Unternehmen mit einem hohen UUX-Reifegrad, wie z.B. die in diesem Themenfeld tätigen Agenturen, nutzen diesen Ansatz. Auf der einen Seite steht die rationale Erkenntnis, dass Usability nur durch praktisches Ausprobieren bewertet werden kann, auf der anderen Seite wird der Aufwand gescheut: In den meisten Fällen müsste die Lösung erst im Rahmen des Customizings an den konkreten Nutzungskontext angepasst und dann einem quantitativen und qualitativen Usability-Test unterzogen werden.

Erste Unternehmen gehen jedoch genau diesen Weg: Sie unterziehen im Kontext der digitalen Employee Experience alle in die engere Wahl kommenden Lösungen einem Usability-Gutachten. Selbst wenn die Kosten für ein wissenschaftlich fundiertes Gutachten pro Lösung im mittleren fünfstelligen Bereich liegen, wären die Kosten um ein Vielfaches höher, wenn am Ende des Prozesses mangels systematischer Bewertung der UUX nur die zweitbeste Lösung ausgewählt würde. Die konkrete Herausforderung für das mittelständische Unternehmen ergibt sich aus dem Wissensmanagement: Wie kann Wissen mit Hilfe von gemeinsamen Laufwerken, Kollaborationsplattformen und unternehmensweiten Chats so organisiert werden, dass alle Dimensionen der Zusammenarbeit (Kollaboration, Kooperation, Koordination und Kommunikation) bestmöglich unterstützt werden?

Das Dilemma in diesem Beispiel: Die drei Usability-Dimensionen Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung sind nicht allein das Ergebnis der Auswahl der richtigen Lösung. Erst die erfolgreiche Nutzbarmachung entscheidet darüber, wie hoch der Mehrwert im Arbeitsalltag genau ausfällt. Dieser Erfolg hängt also nicht nur von der Auswahl der besten Lösung und dem richtigen Customizing ab. Vielmehr etablieren Unternehmen sukzessive ein Ökosystem an verschiedenen Werkzeugen zur bestmöglichen Zusammenarbeit. Ein Usability-Gutachten kann diesen Mehrwert für die wichtigsten Prozesse quantifizieren und dann konkrete Empfehlungen liefern, welches Werkzeug für welchen Zweck die beste Lösung ist.

UUX und Wissensmanagement. Jedes Digitalisierungsprojekt sollte einen praktischen Mehrwert generieren. Doch wie lassen sich UUX-Metriken nutzen, um diesen Mehrwert messbar zu machen?

Denn: Usability ist keine Eigenschaft des Systems. Es geht nicht um die Oberfläche der Lösung. Usability ist eine Eigenschaft der Interaktion zwischen Mensch und System – in einem bestimmten Nutzungskontext. In dem Themenfeld UUX proklamieren wir häufig „form follows function“. Das bedeutet in diesem Kontext: Unser konkreter Use Case entscheidet darüber, wie gut die konkrete Lösung zu unserem Problem passt. Wir alle kennen vermutlich chaotisch Netzlaufwerke, die unseren Arbeitsalltag wenig effektiv machen. Die Ursache hat mindestens drei Ebenen: Ist ein Netzlaufwerk für die Aufgabe überhaupt die richtige Lösung? Wird das Netzlaufwerk auf die richtige Weise genutzt – beispielsweise in Bezug auf Ordnerstrukturen? Und: Ist die konkrete Lösung zudem eine gute Umsetzung des Paradigmas „Netzlaufwerk“?

Usability-Gutachten bewerten nicht die Qualität der Lösung. Diese Untersuchungen bewerten die Passgenauigkeit zwischen Problem und Lösung; daher müssen Sie immer dort durchgeführt werden, wo die Lösung später zum Einsatz kommen soll.

Case #4: Projektmanagement. Was hat Digitalisierung mit Menschen zu tun?

Für wen digitalisieren wir eigentlich? Aus dem bisher Gesagten wird deutlich: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Wir digitalisieren nicht um der Digitalisierung willen. Sicher, eine gute Digitalisierung spart vielleicht Platz in Archivschränken. Und vielleicht sparen wir auch das eine oder andere Blatt Papier. Aber Digitalisierung ist nicht zwangsläufig nachhaltiger und sinnvoller als ein papierbasierter Ansatz. Vielmehr liegt nach dem bisher Gesagten die Schlussfolgerung „Wir digitalisieren, um effizienter zu werden“ nahe. Dies ist aber nur die eine Seite der Medaille.

In unserem nächsten Fallbeispiel werden wir uns mit den Stadtwerken einer deutschen Großstadt beschäftigen. Diese Stadtwerke erbringen eine breite Palette von Dienstleistungen für die Bevölkerung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Strom, Energie, Wasser und Mobilität wird durch eine vierstellige Zahl von Beschäftigten sichergestellt. Diese sind in Bezug auf Ausbildung, Alter, Geschlecht, Fachwissen und Berufserfahrung sehr heterogen. Und sie stehen im Zentrum des Wandels:

Für uns ist Digitalisierung kein technologisches Problem. Digitale Transformation bedeutet für uns: Wir müssen uns als Unternehmen transformieren, die neuen technischen Möglichkeiten nutzen und dabei alle Beschäftigten mitnehmen.

Ulf*, 50, Manager für digitale Transformation bei den Stadtwerken einer deutschen Großstadt

Das Zukunftspotenzial eines Unternehmens liegt auch 2023 nicht in der Technologie. Sondern in den Menschen. Technologien sind Werkzeuge, die uns zu neuer Effektivität und Effizienz verhelfen. Das heißt aber auch: Wir müssen nicht die neuen digitalen Werkzeuge auswählen und dann die Menschen motivieren, schulen und einbinden. Wir müssen – wenn wir das Potenzial voll ausschöpfen wollen – die Menschen in den Mittelpunkt unseres Transformationsprozesses stellen.

Umfragen, Workshops, Fokusgruppen, Diskussionen und andere Befragungen sind ein gängiger Ansatz. Für die Wertschätzung der Mitarbeiter*innen ist das gut. Aber wie gut helfen sie uns tatsächlich bei der Verbesserung der digitalen Employee Experience? Wir setzen diese Formate auch regelmäßig in unseren Usability-Gutachten ein – weil die Perspektive der Mitarbeiter*innen wichtig ist. Doch wir haben früh gelernt: Was Menschen sagen, ist nicht unbedingt das, was sie tun. Was den Menschen gefällt, ist nicht unbedingt das, was in der Praxis funktioniert. Wenn wir also UUX nur auf quantifiziertes Hörensagen beschränken, erhalten wir zunächst nur ein Meinungsbild.

In Innovationsprojekten kommt es dann häufig zu einer von diesem Meinungsbild inspirierten, aber im weiteren Projektverlauf davon losgelösten Diskussion und Umsetzung von Lösungsoptionen. Eine Rückkopplung mit dem Bedarf gelingt dann oft nicht – oder wird teilweise gar nicht erst versucht. Wie kann hier eine bessere Verzahnung erreicht werden? Entschuldigen Sie, wenn ich Sie langweile: Metriken sind auch hier der Schlüssel zum Erfolg. Indem die Stadtwerke die Projektmanagementprozesse zum Gegenstand eines Usability-Gutachtens machen, erkennen sie, welche Mitarbeiter*innen an welcher Stelle von einer besseren Softwareunterstützung profitieren.

Worum geht es beim Projektmanagement? Wie kann UUX dafür sorgen, dass die Lösungen zu den Problemen passen? Und warum liegt es in der Natur der Sache, dass eine Lösung nie zu allen Problemen gleich gut passt?

Wir bewerten nicht die Qualität der für das Projektmanagement verwendeten Software. Wir bewerten die Eignung für bestimmte Arten und Typen von Projekten und bestimmte Qualifikationsprofile der Mitarbeiter*innen. Denn in dem echten Leben ist die Lösung für ein Projekt durchschnittlicher Größe vielleicht perfekt geeignet, für kleinere Projekte jedoch ein Overkill und für sehr große Projekte ebenfalls untauglich. Dieses Wissen bietet die Grundlage, um für diese Lücken passgenaue Lösungen zu finden. Die Lücke muss nicht immer gleich ein bestimmter Projekttypus sein, häufig erstrecken sich die Lücken auch nur auf bestimmte, konkrete Aufgaben im Projektmanagement.

Die Welt – und damit die Untersuchung der UUX – ist nun einmal nicht schwarz-weiß: Die Lösung ist nicht gut oder ungeeignet. Ein Usability-Gutachten hilft uns vielmehr dabei, die Anwendungsbereiche der Software zu konkretisieren und die digitale Employee Experience zu verbessern.

Case #5: Schattensysteme. Haben Sie Daten? Wenn ja: Wie oft?

In unserem letzten Fallbeispiel widmen wir uns einem weiteren spannenden Anwendungsbereich für UUX-Gutachten: Startups. Das von uns betrachtete Startup wurde 2017 gegründet und bietet eine Software-as-a-Service-Lösung (SaaS) für einen branchenspezifischen Bezahlprozess an. Das Startup beschäftigt ungefähr 50 Mitarbeiter*innen und hat eine höhere dreistellige Zahl an Kund*innen. Das Themenfeld UUX ist für das Management-Team, insbesondere den CTO, von zentraler strategischer Bedeutung. Denn das Unternehmen differenziert sich von seinen Mitbewerbern genau dadurch, dass es den Bezahlprozess besonders effizient und effektiv abbildet, indem es die Lösung bestmöglich in die Systeme seiner Kund*innen integriert.

In diesem Kontext denken UUX-Agenturen – wie alle Unternehmen – regelmäßig über die „idealen Kund*innen“ nach. Sind unsere Kund*innen eher die Unternehmen mit einer hohen UUX-Affinität? Oder sind eher die Unternehmen mit einer geringen UUX-Affinität für uns interessant? UUX-Reifegradmodelle erfreuen sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit – insbesondere bei Agenturen, die beide Bedürfnisse adressieren. Die Herausforderung dieser Perspektive sollte bis hierhin deutlich geworden sein: Dieser UUX-Reifegrad lässt sich – selbst bei sehr kleinen Unternehmen – in der Regel nicht auf Unternehmensebene bestimmen. Sondern nur auf der Prozessebene, wie z.B. der CTO dieses Startups deutlich macht:

Wir setzen die UUX-Brille regelmäßig auf, wenn wir unsere Prozesse aus Sicht unserer Kund*innen analysieren. Bei unseren internen Prozessen waren wir hingegen lange Zeit viel zu kurzsichtig.

Nico*, 38, CTOs eines Tech-Startups aus München

Warum ist das so? Warum steht UUX bei den Softwarelösungen, die wir nach außen zeigen, ganz oben auf der Agenda – während wir gleichzeitig unsere Employee Experience vernachlässigen? Eine vorschnelle Antwort könnte lauten: „Wenn die Kund*innen nicht mehr kaufen, dann geht das direkt an unseren Geldbeutel“. Diese Aussage ist richtig. Aber wenn die Mitarbeiter*innen nicht problemlos mit der Software zurecht kommen, dann kostet das ebenfalls Geld. Dass wir Dinge, die uns Geld kosten, besser machen, ist also nur die halbe Wahrheit. Vielleicht gehört zur Wahrheit auch, dass unsere Mitarbeiter*innen einfach leidensfähiger sind, wenn es um schlechte UUX geht? Schließlich werden wir in der Regel nach Zeit bezahlt. Wenn ein Vorgang, der im Idealfall in fünf Minuten erledigt werden könnte, im realen Arbeitsleben 60 Minuten dauert, dann ist unser Aufschrei oft nicht so laut, wie er sein sollte.

Müssen wir als Mitarbeiter*innen nun konsequenterweise den Druck auf unsere Arbeitgeber*innen erhöhen? Klar ist: Unsere Unternehmen müssen in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels definitiv effizienter werden. Und klar ist auch: Das wird nur gelingen, wenn wir eine substanzielle Effizienzsteigerung in unseren Prozessen erreichen. Wir stecken in der Unternehmenswelt – auch in den hippen Start-ups – im Dilemma der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Wir müssen UUX-Expert*innen auch in das Innenleben unserer Unternehmen schauen lassen. Das Problem: Wir alle werden mit der Zeit betriebsblind. Gute und schlechte digitale Employee Experience zeigen sich nicht bei der hundertsten Nutzung des Kund*innenmanagements, sondern bei der ersten Nutzung.

Im Fall des Startups zeigt die Usability-Expertise: Das Unternehmen nutzt mehrere, verschiedene Systeme für die Verwaltung der Kund*innen. Das erste System wird vom Vertrieb genutzt – und umfasst sowohl aktuelle als auch potenzielle Kund*innen. Es wird sowohl für den Vertrieb als auch für den Support durch die Kund*innenbetreuer*innen verwendet. Das zweite System dient der Buchhaltung – die meisten Daten sind jedoch sehr ähnlich. Lediglich bei größeren Kund*innen kommt die Lösung an verschiedenen Stellen zum Einsatz und die Abrechnung erfolgt über unterschiedliche Ansprechpartner*innen und Kostenstellen. Das dritte System dient dem technischen Zugriff, auch hier gibt es viele Überschneidungen. Gerade bei kleineren Unternehmen sind aber häufig Dienstleister*innen als technische Ansprechpartner*innen involviert, manche Dienstleister*innen sind dabei für mehrere Kund*innen parallel tätig.

Schattensysteme und Redundanzen: Wie können uns die Konzepte aus dem Themenfeld UUX dabei helfen, dass wir passgenaue Systeme in unserem Unternehmen nutzen und Redundanzen wirksam reduzieren?

Als ob diese Systemlandschaft nun nicht schon unübersichtlich genug wäre, führen die Redundanzen noch zu einem weiteren Dilemma: Die Beschäftigten führen aufgrund der Unübersichtlichkeit der Systeme eigene Excel-Sheets, um jederzeit einen einfachen und schnellen Überblick über die von ihnen betreuten Kund*innen zu haben. Dieses unterschiedlichen Sheets sind im Rahmen der Begutachtung sehr wertvoll: Diese Sheets zeigen nämlich, was – aus Perspektive der jeweiligen Stakeholder*innen – die jeweils im Arbeitsalltag benötigten Kund*innendaten sind. Indem wir nun all diese Perspektiven integrieren, erhalten wir eine im technischen Umfang erheblich reduzierte und gleichzeitig besser nutzbare Lösung.

Die Fokussierung auf eine gelungene digitale Employee Experience dient nicht nur der Entwicklung von neuen Systemen, sondern ist auch hilfreich für die Abschaffung von Redundanzen und Schattensystemen.

Jetzt noch schnell die UX/UI einbauen

Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass ich in diesem Artikel bisher stets von der Bedeutung von UUX (Usability und User Experience) gesprochen habe. Vielleicht ist Ihnen die Abkürzung UX (User Experience) geläufiger. Klar, Usability klingt zunächst ein bisschen nach 90er. Menschen wie Ben Shneiderman und Jakob Nielsen haben diesen Fachbegriff bereits damals in die breite Öffentlichkeit getragen. Usability (Gebrauchstauglichkeit) ist dabei in der DIN EN ISO 9241-110 wie folgt definiert:

Gebrauchstauglichkeit ist das Ausmaß, in dem ein System, ein Produkt oder eine Dienstleistung durch bestimmte Benutzer in einem bestimmten Nutzungskontext genutzt werden kann, um bestimmte Ziele effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erreichen.

DIN EN ISO 9241-11

Spätestens seit der Veröffentlichung des iPhone im Jahr 2007 wissen wir: Usability ist nicht alles. Es gibt auch weitere Aspekte des Benutzungserlebnisses, die sich nicht mit den Dimensionen Effektivität, Effizienz und Zufriedenstellung beschreiben lassen. User Experience geht in zweierlei Hinsicht darüber hinaus: Sie adressiert einerseits zusätzlich die freudvolle Nutzung und betrachtet andererseits auch die Phasen vor und nach der Nutzung des Systems.

Der Begriff User Experience beschreibt die Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und / oder der erwarteten Benutzung eines Systems, eines Produkts oder einer Dienstleistung resultieren.

DIN EN ISO 9241-11

Ich möchte hier gar nicht umfassend auf die Frage eingehen, ob Arbeit Spaß machen darf (ja, das darf und sollte sie!) oder ob im beruflichen Kontext auch die Phase nach der Nutzung des Systems, also beispielsweise unser wohldefinierter Feierabend relevant ist (ja, das ist er auf jeden Fall!). Sondern es geht um einen anderen Aspekt: Die UUX-Reife in Bezug auf interne Prozesse ist in Unternehmen und Behörden – wie wir in den fünf Fallbeispielen gesehen haben – sehr niedrig.

Wir müssen bei unternehmensinternen Softwareanwendungen erst einmal unsere Hausaufgaben machen (U) und können dann gerne weiter denken (UX).

Doch vielleicht ist die Ausgangslage sogar noch schlimmer – und unser Unternehmen spricht in einem Atemzug von UX und UI. Damit werfen Sie zwei grundlegend unterschiedliche Dinge in einen Topf; Verwirrung ist vorprogrammiert. Die einzige Gemeinsamkeit bei den beiden Begriffen User Experience und User Interface ist, dass sie beide mit dem Wort User beginnen. Der Rest ist anders. Golden Krishna bringt es in seinem Buch „The best interface is no interface“ [5] ganz vortrefflich auf den Punkt:

This is UI: Navigation, subnavigation, menus, drop-downs, buttons, links, windows, rounded corners, (…).
This is UX: People, happiness, solving problems, understanding needs, love, efficiency, entertainment, pleasure, (…)

Golden Krishna [5]

Denken wir nun noch einmal kurz an unseren ersten Case: Sie haben in München ein neues Auto abgeholt und einen kurzen Tagesausflug nach Ingolstadt gemacht (Ingolstadt ist immer eine Reise wert und wird von Münchner*innen systematisch unterschätzt – ich spreche aus eigener Erfahrung…). Sie kommen dann am Abend nochmal kurz beim Autohaus vorbei, weil Sie das Warndreieck nicht gefunden haben. Der Verkäufer fragt Sie nun: „Und? Wie war Ihre erste Fahrt?“. Sie antworten nun vielleicht:

  1. “Wahnsinn, die Beschleunigung in einem Elektroauto ist schon wirklich beeindruckend!”
  2. “Ich war etwas irritiert, wie stark das Gaspedal auf die kleinste Bewegung reagiert.”
  3. “Mit Abstandsregeltempomat und Spurhalteassistent ist Autofahren wirklich deutlich entspannter!”
  4. “Ich musste etwas rumprobieren, bevor ich den Travel Assist aktivieren und deaktivieren konnte.”
  5. “Ingolstadt ist wirklich eine schöne Stadt mit einer sehr spannenden Geschichte.”
  6. “In Ingolstadt sind die Parkhäuser schlecht ausgeschildert, das war echt verwirrend!”

Sechs Menschen fahren mit einem neuen Auto nach Ingolstadt. Und wir beobachten sechs ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. So sind wir Menschen: Wir sehen und erleben das exakt Gleiche – und unsere Beobachtungen und Interpretationen unterscheiden sich trotzdem fundamental.

UX und UI sind zwei gänzlich unterschiedliche Perspektiven. Wer sich über die Beschleunigung (1) freut, bewertet die User Experience eines Elektroautos. Wer über das Gaspedal nachdenkt (2), grübelt über das User Interface des Elektroautos. Wer über den praktischen Mehrwert von Assistenzsystemen spricht (3), spricht über die User Experience. Wer hingegen über den Schalter und die Anzeige der Assistenzsysteme redet (4), spricht über das User Interface. Wer über Ingolstadt spricht, spricht über die User Experience (5). Wer hingegen, über die Beschilderung spricht, spricht über das User Interface des Stadt (6).

Dieses Beispiel macht auch deutlich: Wer über User Experience spricht, fährt – um in dem Bild zu bleiben – mit Fernlicht. UUX schaut auf die großen Themen:

UUX hat in Unternehmen immer eine strategische Bedeutung. Im Kontext der Digitalisierung gehört UUX zu den zentralen Aufgaben des Managements.

Wer sich hingegen auf die Zugänglichkeit, Oberflächen und Schnittstellen der Systeme und Städte beschäftigt, fährt mit Abblendlicht. UI schaut auf die Dinge, die unmittelbar vor uns liegen.

UI macht in Unternehmen die existierenden Lösungen auf kurze Sicht besser. Im Kontext der Digitalisierung sollte UI in jedem Projekt Berücksichtigung finden.

Gute User Interfaces sind essentiell, damit unsere digitale Transformation gelingt. Aber wir bleiben durch einen zu starken Fokus auf UI im wahrsten Sinne des Wortes an der Oberfläche unserer Probleme.

Damit wird jedoch auch deutlich: Wenn Sie in den fünf skizzierten Cases in Ihrem Unternehmen erfolgreich sein wollen, dann brauchen Sie keine Rolle „UX/UI“. Stattdessen brauchen wir eine strategische Verankerung von UUX in unserem Management und eine operative Unterstützung durch UI in unseren Projekten.

Erst messen, dann besser machen

Damit sind wir wieder bei der Idee vom Anfang. Was ist nun in allen fünf Praxisbeispielen der Schlüssel zum Erfolg? Unternehmen wie Behörden müssen sich zunächst einen Überblick über den Status quo verschaffen. Das klingt mühsam und lästig. Nach unseren Beobachtungen fällt es Behörden wie Unternehmen leichter, einen mittleren sechsstelligen oder gar siebenstelligen Betrag in ein System zu investieren, das niemand braucht, als zunächst einen mittleren fünfstelligen Betrag in die Analyse der Passgenauigkeit der aktuellen Systemlandschaft zu investieren.

Es ist das einfache Einmaleins eines guten Projektmanagements: Erst wenn wir wissen, wo wir stehen, wissen wir, wohin die Reise gehen soll. Um wirklich sicher zu sein, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen, müssen wir unsere Fortschritte regelmäßig messen. Warum tun wir das nicht auch in unserem Unternehmen, wenn es darum geht, unsere Lösungen effektiver, effizienter und zufriedenstellender zu machen? Sind wir wirklich davon überzeugt, dass wir keine Metriken brauchen, weil wir mit bloßem Auge sehen können, ob die Lösung passt oder nicht? Offensichtlich sehen wir es nicht, sonst würden unsere Mitarbeiter*innen nicht so sehr unter den unpassenden Systemen leiden.

Sind uns deren Bedürfnisse tatsächlich egal? Haben wir Angst, etwas zu messen, von dem wir schon wissen, dass es nicht optimal ist?

Ein Untersuchung der Employee Experience ist keine Begutachtung von Schäden; sondern eine Begutachtung des Potentials.

Wir schauen uns gemeinsam an, wo wir stehen – fundiert und auf Basis von klaren Metriken. Wir überlegen uns gemeinsam, wie wir nun besser werden könnten. Wir setzen unsere Ideen um. Und bewerten dann, ob sich die erhofften Verbesserungen einstellen – oder ob wir eine Richtungskorrektur brauchen. Das tun wir so früh und so häufig, dass der Schaden minimal ist:

  • Wir sind auf dem richtigen Weg? Dann erhalten wir durch wiederholte Untersuchungen genau die Bestätigung, die wir brauchen. Die Untersuchungsergebnisse motivieren uns, den Weg weiter zu gehen, Wiederstände zu überwinden, Mitstreiter*innen zu gewinnen und größere Budgets zu akquirieren.
  • Wir sind auf dem falschen Weg? Dann erhalten wir durch wiederholte Untersuchungen ein frühes Feedback. Die Untersuchung vermeidet Frustrationen durch suboptimale Updates, unterstützt ein Nachschärfen der Ursachenanalyse, verbessert unser Problemverständnis und vermeidet die Investition von Ressourcen in nicht zielführende Ideen.
UUX-Gutachten dienen Unternehmen als Frühwarnsystem: Mithilfe dieser Untersuchungen können die kritischen Punkte rechtzeitig erkannt werden und passgenaue Aktivitäten in die Wege geleitet werden

Kurzum: Wir müssen keine Angst vor UUX-Metriken haben. Diese werden nicht unseren beruflichen Niedergang einleiten und auch nicht unsere mangelnde Eignung als CIO, CDO oder CTO für alle anderen sichtbar machen.

Usability-Gutachten sind ein Frühwarnsystem, das uns hilft, die besonders kritischen Punkte in unserer Digitalisierungsstrategie zu erkennen – und deren negativen Auswirkungen frühzeitig zu begrenzen.

Natürlich sind auch hier wieder ganz triviale Erkenntnisse versteckt: Nicht die uns bekannten Usability-Probleme sind das größte Risiko, sondern die unbekannten. Ein Usability-Gutachten schützt uns damit vor negativen Überraschungen in unseren internen Prozessen.

Die richtige Perspektive: Potentiale nutzen anstatt Kosten minimieren

Wenn wir nun davon überzeugt sind, dass ein Strategiewechsel in Bezug auf die intern genutzten Softwareanwendungen große Vorteile für unser Unternehmen mit sich bringt, dann stellt sich vermutlich die Frage: „Was kostet uns gute Usability in allen Anwendungen?“. Eine auf den ersten Blick berechtigte, aber wenig zielführende Frage. Vielleicht sollten wir uns zunächst besser mit der Gegenfrage beschäftigen: „Wie hoch sind unsere voraussichtlichen Kosten, wenn wir heute nicht in Usability investieren?“

Wie wir in den Fallbeispielen gesehen haben, wird uns das Unterlassen von Investitionen eine Vielzahl von Problemen bescheren:

  • Unsere Prozesse bleiben dauerhaft unter deren Potential. Unsere Beschäftigten erreichen aufgrund der unzureichenden Systeme nicht die bestmögliche Effizienz; alle Mitabeiter*innen erreichen nur einen Bruchteil ihrer maximalen Leistungsfähigkeit
  • Die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter*innen lässt sich durch die gegenwärtigen Maßnahmen im Bereich „Human Resources“ nur eingeschränkt steigern. Hohe Fluktuation und der allgemeine Fachkräftemangel führen zu hohem Aufwand im Recruiting und zu langwierigen Einstellungsprozessen.
  • Die in unserem Unternehmen zum Einsatz kommenden Systeme werden nicht auf die bestmögliche Weise genutzt. Unsere Mitarbeiter*innen verfügen nicht über ausreichend Expertise und verwenden nicht das für den jeweiligen Einsatzzweck am besten geeignete System.
  • Die Eignung der von unseren Mitarbeiter*innen genutzten Lösungen beschränkt sich auf die Bewältigung von durchschnittlichen Aufgaben und Anforderungen – besonders einfache und besonders schwierige Aufgaben führen bei unseren Beschäftigten zu überproportional hohem Arbeitsaufwand.
  • Die Systemlandschaft ist nicht optimal auf die Bedürfnisse unserer Beschäftigten zugeschnitten. Das Potential, das sich aus der Vereinfachung der Systemlandschaft ergibt, bleibt in unserem Unternehmen ungenutzt. Sowohl der technologische Aufwand als auch der Aufwand für die Menschen bleibt hoch.

Wir könnten in der gleichen Zeit mehr Abschlüsse erzielen, wir könnten mehr Mitarbeiter*innen langfristig binden, wir könnten unsere Systeme besser nutzen, wir könnten mehr Aufgaben digitalisieren und wir könnten gleichzeitig die Gesamtzahl an Systemen reduzieren? Das hört sich doch zu schön an, um wahr zu sein.

Unsere drei Schlüssel zum Erfolg: Vertrauen, Mut und Angst

Wie können wir nun alle relevanten Akteure aus unserem Management ins Boot holen? Die Aktivitäten im Themenfeld UUX stehen auf dem soliden Fundament der Normenreihe DIN EN ISO 9241 zur Software-Ergonomie. Zum einen basiert die bereits skizzierte Methodik zur Unterscheidung von Problem und Lösung auf der Norm ISO 9241-210 – und die Integration der UUX-Perspektive in unser Unternehmen auf der Norm ISO 9241-220. Aber reicht das aus, um unser Management für bessere UUX zu gewinnen? Wahrscheinlich brauchen wir zusätzlich mindestens eine der folgenden drei Eigenschaften:

  • Wir brauchen Vertrauen in all die Untersuchungen und Studien, die bei Usability-Maßnahmen einen hohen ROI (return on invest) prognostizieren [6]
  • Wir brauchen Mut, nun einfach einmal in ein Usability-Gutachten zu investieren, um den Mehrwert anhand unserer intern verwendeten Softwareanwendungen mit eigenen Augen zu erleben.
  • Wir brauchen Angst, in fünf bis spätestens zehn Jahren von unseren Mitbewerber*innen überholt zu werden, wenn wir uns nicht bereits heute für eine Form der Digitalisierung entscheiden, von der alle unsere Beschäftigten profitieren.
UUX ist emotional. Für alle Beteiligten. Wir brauchen Vertrauen, Mut und Angst um die richtigen Schritte in die Wege zu leiten.

Als CIO, CDO oder CTO müssen wir in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen: Es geht nicht mehr nur um die optimale technische Lösung, um die beste Lösung für unsere Probleme. Unsere Aufgabe ist es auch, die wichtigsten Probleme zu identifizieren. Das ist unser tägliches Brot, ganz klar. Aber die Herausforderung wird immer komplexer: Das Erkennen der richtigen Probleme wird in Zukunft nicht mehr von der Genialität einiger besonders kluger und exponierter Menschen in unserem Unternehmen abhängen. Vielmehr brauchen wir für die Digitalisierung unseres Unternehmens einen Ansatz, der „menschzentriert“ nicht nur im Namen trägt – sondern tatsächlich von Anfang bis Ende in der Praxis lebt.

Diese Perspektive ist so wichtig, dass populäre Design-Thinking-Prozesse – wie der unten dargestellte Double Diamond Process des British Design Council [7] – zwei zentrale Aufgaben für die Digitalisierungsverantwortlichen sehen. Die erste Aufgabe (im linken Diamanten) ist es, die richtigen Probleme zu identifizieren, die zweite Aufgabe (im rechten Diamanten) ist es, die richtigen Lösungen für diese Probleme zu finden:

Double Diamond: Erst wenn wir das Problem kennen, können wir mit dessen Lösung beginnen [7]

Echte Digitalisierung ist immer menschzentriert. Doch erst durch die richtigen Methoden, Prozesse, Werkzeuge und Prinzipien reden wir nicht nur von Menschzentrierung – sondern berücksichtigen diese Employee Experience in allen unseren internen Prozesse. Offen gesagt wird es nicht bei der reinen Integration bleiben: Je mehr wir uns auf diesen Perspektivwechsel einlassen, umso mehr werden sich unsere Prozesse von Grund auf ändern. Nur dann ist Menschzentrierung in unserem Unternehmen nicht länger ein Buzzword sondern die Employee Experience wird zum zentralen Leitmotiv für alle unsere Aktivitäten.

Dann bleibt nun eigentlich nur noch eine Frage offen: Warum ist es eigentlich so schwer, im Fall der Fälle schnell und kompliziert im Auto das Warndreieck zu finden? Ist das jetzt nur ein schlechtes UI -oder eine ungenügende UX?

[1] https://www.heise.de/news/heise-meets-So-gelingt-Behoerden-der-Sprung-ins-digitale-Zeitalter-7518244.html

[2] https://u-ux.de/praxisleitfaden

[3] https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/startseite/startseite-node.html

[4] https://uuxfueralle.blog/verwaltungsdigitalisierung-neu-denken-oder-acht-ideen-der-16-bundeslaender-wie-uns-das-nicht-gelingen-wird

[5] Krishna, Golden. “The Best Interface Is No Interface: The Simple Path to Brilliant Technology.”, New Riders, 2015

[6] https://www.testingtime.com/blog/ein-umfassender-leitfaden-zur-investitionsrentabilitaet-roi-der-user-experience-ux/

[7] https://www.designcouncil.org.uk/our-work/skills-learning/tools-frameworks/framework-for-innovation-design-councils-evolved-double-diamond/

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