Die professionelle Begutachtung von Softwareanwendungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit und Barrierefreiheit ist unser Tagesgeschäft. Basis dessen ist die heuristische Evaluation der jeweiligen Anwendung unserer Kund*innen auf Grundlage geltender Normen (lesen Sie mehr dazu im Blogbeitrag Wie gelingt eine heuristische Prüfung der Barrierefreiheit?).
Unsere inhaltliche Evaluation kann aber weit über die Normkonformitätsprüfung hinausgehen. Usability-Tests, Fokusgruppen und Interviews ergänzen im Rahmen unserer Evaluationen die Ergebnisse der heuristischen Evaluation. Wichtig dabei: Standardisierung. Standardisierung verfolgt mehrere Ziele: Sie dient dazu, Klarheit und Einheitlichkeit über verschiedene Testsituationen hinweg zu schaffen, um von den Ergebnissen explizit auf die Anwendung schließen zu können und so zu verhindern, dass unkontrollierbare Parameter Ursache für Untersuchungsergebnisse sind.
Unser Mittel dazu ist unter anderem das mobile UUX-Labor. Dieser Blogeintrag befasst sich mit Inhalt und Technik und gibt einen Einblick in die grundlegende Theorie hinter diesem Konzept. Darüber hinaus soll dargestellt werden, welche Möglichkeiten diese Lösung im Vergleich zu älteren Verfahren bietet und welche Perspektiven diese Entwicklung hat.
Usability-Tests: Durch Evaluationsmethoden mit Anwender*innen zur umfassenden Prüfung
Den Anfang unserer Bewertung von Usability und UX bildet die heuristische Bewertung der zu bewertenden Anwendung. Innerhalb dieses Prozesses setzen wir uns intensiv mit der Anwendung unserer Kund*innen auseinander. Im Wesentlichen überprüfen wir anhand eines Prüfschemas die Konformität der Anwendung mit den geltenden Normen. Dabei werden Gebrauchstauglichkeit und Barrierefreiheit zunächst getrennt untersucht und dann im Gutachten wieder zusammengeführt.

Der für diesen Artikel interessante Teil unserer Prüfung folgt der heuristischen Evaluation. Bei der Entwicklung von Anwendungen und Websites spielt die Benutzererfahrung (User Experience) eine entscheidende Rolle. Sie stellt sicher, dass diese Produkte die Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer*innen erfüllen. Der Usability-Test ist ein Verfahren zur Bewertung der Gebrauchstauglichkeit (Usability) einer Website, einer Anwendung oder eines Produkts.
Ziel des Tests ist es, Feedback von tatsächlichen Nutzer*innen zu sammeln, um potenzielle Probleme und Schwierigkeiten bei der Verwendung zu identifizieren und zu beheben. In einem typischen Usability-Test bearbeiten Proband*innen bestimmte Aufgaben innerhalb der zu begutachtenden Anwendung. Dabei werden die Testpersonen gebeten, ihre Gedanken und Reaktionen während des Tests laut auszusprechen, um ihre Vorgehensweise und Probleme bei der Aufgabenbearbeitung im Nachhinein besser nachvollziehen zu können.
Auf Basis der Ergebnisse der Aufgabenbearbeitung und des gesprochenen Feedbacks können nun Problemmuster der Anwendung aufgedeckt werden und somit die praktischen Erfahrungen der Testpersonen in die Weiterentwicklung der Anwendung einfließen.
Herausforderungen und Einschränkungen dezentraler Usability-Tests
Trotz der tendenziell dezentralen Arbeitsweise innerhalb der IT- und Softwarebranche, in die Usability-Test-Dienstleistungen zumindest im weiteren Sinne einzuordnen sind, sollte in bestimmten Bereichen keinesfalls auf Präsenz verzichtet werden. Insbesondere dann nicht, wenn menschliche Einschätzungen und Reaktionen elementarer Bestandteil der Ergebnisse sein sollen. Während der Corona-Zeit durften wir die Herausforderungen von Remote-Kommunikation mit Testuser*innen erleben. Tests auf Distanz durchzuführen kann folgende Nachteile haben:
Begrenzte Kontextualisierung
Wenn Tests nicht in der realen Umgebung des Kunden stattfinden, kann es schwierig sein, den Kontext der tatsächlichen Nutzung vollständig zu erfassen. Faktoren wie die physische Umgebung, Ablenkungen oder spezifische Nutzungssituationen können den Benutzerkomfort und die Gebrauchstauglichkeit beeinflussen. Durch Tests vor Ort können diese Faktoren besser berücksichtigt werden.
Schwierigkeiten bei der Interaktion mit dem Produkt
Durch die Durchführung von Tests vor Ort können die Teilnehmer*innen das Produkt ausprobieren und in ihrer gewohnten Umgebung nutzen. Auf diese Weise können detaillierte Informationen über die Interaktion und das Feedback der Nutzer gesammelt werden. Bei Tests, die nicht beim Kunden durchgeführt werden, können diese Aspekte möglicherweise nicht vollständig erfasst werden.
Eingeschränkte Möglichkeiten der Beobachtung
Bei Usability-Tests vor Ort haben Beobachter*innen die Möglichkeit, das Verhalten der Benutzer*innen genau zu beobachten, ihre Reaktionen zu interpretieren und zusätzliche Informationen durch nonverbale Kommunikation zu erhalten. Bei Tests, die nicht beim Kunden durchgeführt werden, kann diese Beobachtungs- und Interpretationsebene verloren gehen.
Fehlende Möglichkeit zur Kontextklärung
Wenn Usability-Tests nicht vor Ort durchgeführt werden, kann es schwierig sein, bestimmte Aspekte der Benutzererfahrung zu verstehen oder zu klären. Fragen oder Unklarheiten, die während des Tests auftauchen, können unter Umständen nicht sofort geklärt oder aufgelöst werden, was dazu führen kann, dass die Ergebnisse falsch interpretiert werden.

Damit wird deutlich, dass Präsenztests entscheidende Vorteile gegenüber Ferntests haben können. Bleibt die Frage, wie das technische Know-how logistisch zum Kunden vor Ort kommt.
Technologische Potentiale im Usability-Test
Sie ahnen, dass die Technologisierung auch im Usability-Test neue Möglichkeiten eröffnet. Im Folgenden möchte ich Ihnen im Einzelnen einige dieser neuen Möglichkeiten vorstellen.
Das wohl einschlägigste, Eye-Tracking: Eye-Tracking-Technologie erfasst die Blickbewegungen von Teilnehmer*innen und ermöglicht es zu verfolgen, wohin auf dem Bildschirm geschaut wird. Dadurch kann festgestellt werden, welche Elemente der Benutzeroberfläche die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen auf sich ziehen. So können Rückschlüsse auf die Gestaltung und Positionierung einzelner Elemente gezogen werden.[1]

Bildschirm- und Audioaufzeichnungssoftware ermöglicht es später zu überprüfen, wie die Teilnehmer*innen mit dem Produkt interagiert haben und welche Schwierigkeiten dabei aufgetreten sind. Die Aufzeichnung des Tests wird durch Audioaufnahmen ergänzt. Durch die Aufzeichnung des gesprochenen Feedbacks (“lautes Denken”) der Teilnehmer*innen während des Tests, können deren Gedanken und Eindrücke besser verstanden werden. Die Audioaufzeichnung ist eine Ergänzung zu den schriftlichen Notizen und kann im Nachhinein zu einem breiteren Bild der Auswertung der Tests beitragen.
Usability-Test Plattformen und Tools: Es gibt verschiedene Online-Plattformen, die speziell für die Durchführung von Usability-Tests entwickelt wurden. Diese Plattformen bieten Funktionen wie Bildschirmaufzeichnung, Tonaufnahmen, Fragebögen und Protokollierungstools, die bei der Verwaltung und Durchführung von Tests hilfreich sind. Usability-Test-Tools wie UserZoom oder UserTesting bieten Funktionen zur Rekrutierung von Testpersonen, zur Durchführung von Tests, zur Aufzeichnung von Sessions und zur Analyse der Ergebnisse.
Diese Technologien dienen in erster Linie dazu, Usability-Tests effizienter und aussagekräftiger zu machen. Dies geschieht vor allem durch die Erfassung und Analyse von Daten, die zur Verbesserung der Usability beitragen. Entscheidend ist, geeignete Technologien entsprechend den spezifischen Anforderungen des Usability-Tests auszuwählen.
Mobile Umsetzung
Ziel unserer Umsetzung des mobilen Usability-Labors ist eine schnelle, leicht zu transportierende und kompakte Lösung, die in wenigen Minuten aufgebaut werden kann. Praktisch bedeutet das für uns, alle notwendigen Komponenten in einem handgepäckgroßen Koffer unterzubringen. Basierend auf dieser Idee setzt sich das mobile UUX-Labor wie folgt zusammen:
- Basis des Systems ist ein leistungsfähiger Laptop, der ausreichend Anschlussmöglichkeiten für die einzelnen Komponenten bietet.
- Zwei Webcams mit flexiblen Stativen dienen dazu, die Nutzer*innen und den Bildschirm gleichzeitig aufzunehmen.
- Ein Eye-Tracker ermöglicht die Erfassung der Blickbewegungen: Vor der Nutzung des Systems wird eine schmale Kameraleiste am Monitor befestigt und entsprechend konfiguriert.
- Ein mobiler, externer Monitor ermöglicht die Überwachung des Usability-Tests durch unsere Expert*innen und Vertreter*innen auf Kund*innenseite

Mit dieser Lösung sind wir maximal flexibel: Wir können das mobile UUX-Labor sowohl um die existierende IT-Infrastruktur vor Ort herum installieren. Das bedeutet: Die Proband*innen arbeiten mit der Soft- und Hardware des Unternehmens und unser mobiles Usability-Labor dient nur zur Datenerfassung und -aufzeichnung. Andererseits können wir das Labor auch als mobilen Testplatz betreiben, und damit vor Ort beispielsweise die Interaktion mit Webanwendungen analysieren.
Daten erhoben – Was nun?
Wie bereits beschrieben, ergeben sich durch diese neuen Möglichkeiten im UUX-Test auch zusätzliche Potentiale in der Auswertung der Daten und damit in den Erkenntnissen über die untersuchte Anwendung. Klar ist aber auch, dass Daten allein nicht automatisch reichhaltigere Ergebnisse liefern. Insbesondere die Eye-Tracking-Daten müssen sinnvoll und zielführend ausgewertet werden.
Während die Daten des lauten Denkens Aufschluss über die interaktive und verständliche Gestaltung des Systems geben können, lassen sich aus den Eye-Tracking-Daten Suchreflexe, visuelle Reize und Orientierungsmuster der Nutzer*innen erkennen. Eine vollständige Auswertung aller Eye-Tracking-Daten ist jedoch nicht immer sinnvoll. Inwieweit eine Integration dieser Daten sinnvoll ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Für die Daten gilt aber wohl: “Besser haben als brauchen”. Insbesondere dann, wenn sie einfach und ohne großen Mehraufwand erhoben werden können. Dies ist mit der Software des mobilen UUX Labors möglich. Einmal an die jeweilige Testperson angepasst, werden die Blickdaten automatisch erfasst und in Auswertungstools vorverarbeitet.
Bestandteile des mobilen Labors
- Mobiler Bildschirm
- Laptop
- Eye-Tracking-System inkl. Software
- PC-Zubehör
- 2 Webcam-Systeme
- Aufzeichnungssoftware Ton und Bild
Fazit
Das mobile UUX-Labor ist eine innovative Lösung, um Usability-Tests direkt beim Kunden vor Ort durchzuführen. Es erweitert die Usability-Tests und kann so wertvolle Erkenntnisse zu User Experience und Usability liefern. Die Logistik der Testorganisation und -durchführung vereinfacht sich dadurch enorm: Unsere Kund*innen können direkt dort testen, wo die Proband*innen sind. Der Test wird noch authentischer und der Kontext der Usability-Tests wird noch flexibler an den jeweiligen Nutzungskontext der Anwendung anpassbar.
Insgesamt ermöglicht die mobile Durchführung von Usability-Tests eine praxisnahe Bewertung der Anwendung und eröffnet neue Möglichkeiten der Datenerhebung und -auswertung. Die technologischen Potenziale bieten umfassende Einblicke in das Nutzerverhalten und ermöglichen eine gezielte Optimierung der Tests.
Der größte Vorteil liegt in der flexiblen und universellen Einsetzbarkeit der mobilen Systeme. Testpersonen können die Anwendung in ihrer gewohnten Umgebung relativ realitätsnah testen. Für Entwickler*innen bedeutet das, dass Produkte mit noch mehr Hintergrundinformationen bzgl. der Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer*innen angepasst und verbessert werden können.
Das mobile UUX Labor von Nestler UUX Consulting steht Ihnen flexibel deutschlandweit zur Verfügung. Wir kommen dorthin, wo Ihre Nutzer*innen sind! Und verbinden so das beste aus zwei Welten: (Fast) so flexibel wie Remote-Tests – und gleichzeitig erhalten Sie ähnlich fundierte Testdaten wie in einem stationären Usability-Labor.
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