Verwaltungsdigitalisierung neu denken – oder: Acht Ideen der 16 Bundesländer wie uns das (nicht) gelingen wird

Alle 16 Bundesländer haben vor einigen Wochen einen Entwurf vorgelegt, welcher die 8 wichtigsten Kernthemen der Verwaltungsdigitalisierung benennt und konkrete Lösungsideen skizziert. Wir stellen uns die Frage, wie tragfähig und praxistauglich diese Ideen aus Perspektive der UUX sind.

Ein zwischen den einzelnen Bundesländern abgestimmtes Ideenpapier zur Zukunft der Verwaltungsdigitalisierung führt gerade zu kontroversen Diskussionen unter den Verwaltungsdigitalisierern [1]. Auch ich war sehr neugierig. In meiner neudeutschen Bubble auf LinkedIn hörte ich von allen Seiten, dass dieses Papier auf Initiative von Rheinland-Pfalz und Bayern auf den Weg gebracht wurde. Ich wurde direkt noch neugieriger. Denn im Zuge der Vorarbeiten zu unserem Praxisleitfaden zu menschzentrierter Digitalisierung [2] durfte ich Feodor Ruhose als einen CIO kennenlernen, der Menschzentrierung bereits von Anfang an mit seinem Team mitdenkt und bei seinem Handeln berücksichtigt. Doch auch unsere bayrische Digitalministerin Judith Gerlich überzeugt fachlich durch viele gute Initiativen und Impulse zur Verwaltungsdigitalisierung – sowie auf persönlicher Ebene durch ihr Engagement für bessere digitale Barrierefreiheit [3].

Kurzum: Wenn sich nun zwei Vordenker*innen des IT-Planungsrates mit ihren Teams zusammen setzen, dann erwarte ich großes. Und ich erwarte insbesondere auch eine klare Abkehr von einer technikzentrierten Perspektive und eine entschlossene Hinwendung zu einer menschzentrierten Digitalisierung. Mal sehen, ob sich meine hohen Erwartungen erfüllen.

#1: Das einheitliche Nutzer*innenkonto

Das Papier eröffnet mit einer kleinen Trivialität. Wenn wir diese Dienste eng verzahnt anbieten wollen, dann brauchen wir ein Konto, mit dem wir Bürger*innen all diese Dinge nutzen können. Ich muss kurz grübeln. Das hört sich durch und durch sinnvoll an. Daher müssen wir an dieser Stelle nicht die Sinnhaftigkeit dieser Idee hinterfragen. Meine Frage ist etwas naiver: Wie soll es denn sonst gehen? Oder anders gefragt: Wie dachte man bisher – nach der Logik des OZG 1.0 – wie eine nutzerorientierte Digitalisierung ohne ein einheitliches Konto gelingt?

Besprechung zwischen zwei Männern
Eine der vielen großen Fragen im Kontext des damaligen OZG 1.0: Wie kann eine nutzerorientierte Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ohne einheitliches Nutzer*innenkonto gelingen?

Ansonsten wird zu diesem Punkt inhaltlich recht wenig erläutert. Es ist vermutlich auch nicht allzu viel zu sagen; wir brauchen ein Konto. Über dieses eine Konto greifen wir auf alle öffentlichen Services zu. Aus der ernüchternden Erfahrung mit der Datenmigration im BayernID-Unternehmenskonto [4] vermisse ich hier nur einen sehr praktischen Punkt: Gestalten Sie den Weg zu dem einheitlichen Konto menschzentriert und nach dem aktuellen Stand der Technik – und:

Verzichten Sie nach Möglichkeit bitte darauf, Ihre Bürger*innen im Zuge der Migration zwischenzeitlich wieder zurück in die prädigitale Vorzeit zu katapultieren.

#2: Die “Volldigitalisierung”

Das Wort Volldigitalisierung lässt mich schmunzeln. Ich habe es im Herbst letzten Jahres auch als Titel für meine Keynote beim ID X Summit von WebId verwendet: “Richtig boostern: Wie wird aus dem OZG ein VVDG?”. Ich hatte diesen Begriff der “Volldigitalisierung” in meinem Vortrag zynisch und überspitzt verwendet – und die notwendige Gesetzesnovelle daher als Verwaltungsvolldigitalisierungsgesetz (VVDG) beschrieben.

Sitzung: Sitzplatz mit Tischmikrophon und Tischvorlage
Wie sollte ein Verwaltungsvolldigitalisierungsgesetz (VVDG) konkret ausgestaltet werden?

So schön sich mit diesem Wort auf der einen Seite die Ideen in einer Keynote überspitzt formulieren lassen – so inhaltsleer ist der Begriff auf der anderen Seite:

Es gibt in der Digitalisierung keine halben Sachen; entweder wir digitalisieren die Verwaltung. Oder wir lassen es bleiben.

Im politischen Prozess schadet es erfahrungsgemäß trotzdem nicht, wenn man das Wichtigste im Zweifelsfall einmal zu oft sagt. Denn genau darum geht es: Wir müssen in die Vollen gehen – und alle Schritte des Prozesses in den Fokus nehmen. Die bisherige Beschränkung auf die Perspektive der Bürger*innen ist künstlich, schafft unnötige Medienbrüche und hat nur am Rande etwas mit echter Verwaltungsdigitalisierung zu tun.

Das OZG war im Kontext der Verwaltungsdigitalisierung bisher das, was die Potemkinsche Dörfer für das bäuerliche Leben in Russland waren.

Wir digitalisieren nach den Ideengebern des OZG 1.0 gar nicht die Verwaltung selbst, sondern wir schaffen eine Verwaltung, die für die Bürger*innen so aussieht, als wäre sie digital. Die Potemkinsche Dörfer sind eine nette Anekdote, diese Form der OZG-Umsetzung ist jedoch traurige Realität im Jahr 2023.

Anfangen statt den richtigen Anfang suchen

Der Weg ist klar: Die Aktivitäten sind dann kein OZG 1.1, 2.0 oder 3.0 mehr – wir regeln nicht mehr primär den Zugang zu Leistungen durch die Bürger*innen. Bei all der Kritik an den Potemkinschen Dörfern muss man dem IT-Planungsrat eine Sache zugute halten: Grundsätzlich muss man bei allen Initiativen – auch dem OZG – zunächst irgendwo anfangen und erste Teilerfolge erzielen. Das OZG ist ein guter Start um die Vernetzung zwischen den IT-Verantwortlichen der Bundesländer zu stärken, existierende Kooperationen auszubauen und nach außen sichtbare Erfolge zu erzielen. 

Der nun für jedermann und jedefrau offensichtliche Haken war den Architekt*innen des OZG bewusst: Die Schnittstellen zwischen den Frontends für die Bürger*innen und den Frontends für die Mitarbeiter*innen waren nicht im Fokus. Und daher gibt es sie aktuell noch nicht. Die aktuellen Symptome sind keine Überraschung, sondern das Ergebnis der initialen Priorisierung. Was jedoch nicht in letzter Konsequenz durchdacht wurde, ist der Schmerz in der Praxis: An diesem Übergang nutzen wir aktuell bidirektionale digital-analog-digital Schnittstellen. 

Eine Frau und ein Mann beraten über neue Gesetzesentwürfe
Auch wenn wir noch komplexe digital-analog-digital Schnittstellen brauchen – das war die große Stärke des OZG 1.0: Einfach mal entschlossen starten anstatt zu lange dem richtigen Anfang zu suchen.

Das bedeutet in der Praxis: Die Bürger*innen schicken einen digitalen Antrag und das konkrete Fachverfahren ist nicht angebunden. Aus dem digitalen Antrag wird in der Übergangslösung beispielsweise mithilfe eines Druckers ein analoger Antrag und dieser wird auf dem üblichen Dienstweg innerhalb der Ämter verteilt – oder mithilfe (der ursprünglich für analoge Anträge geschaffenen) Eingangserfassung wieder für das jeweilige Fachverfahren digitalisiert. Der Bescheid überwindet diese „Schnittstelle“ dann am Ende des Prozesses wieder in umgekehrter Richtung.

Von außen betrachtet möchte man meinen, dass sich mithilfe einfacher, standardisierter Dateiformate (wie z.B. pdf-Dateien) hier zumindest in allen Fällen das Ausdrucken vermeiden lassen müsste. Ich muss ehrlicherweise sagen, dass viele Betroffenen anekdotisch in stetiger Regelmäßigkeit von großen Herausforderungen an dieser digital-analog-digital Schnittstelle berichten; genaue Zahlen darüber, in vielen Prozent der Fachverfahren ein Ausdrucken tatsächlich nach wie vor unumgänglich ist, habe jedoch leider nicht. Der Fokus auf Citizen Experience – im Sinne einer positiven Customer Experience – ist wichtig; aber ebenso wichtig ist die Employee Experience der Beschäftigten in der öffentlcihen Verwaltung. Diese Employee Experience leistet einen indirekten, aber ebenso wichtigen Beitrag zur einer positiven Interaktion mit der öffentlichen Verwaltung.

Es ist nie zu spät, um Prioritäten zu setzen?

Spannend ist an dieser Stelle auch die Fokussierung auf  priorisierte Leistungen. Wir hatten damals im Praxisleitfaden [2] – nach den rund 70 Gesprächen mit den Expert*innen – ebenfalls anregt, im ersten Schritt bestimmte Leistungen zu priorisieren. Die Verantwortlichen könnten sich hier beispielsweise an den zehn von Philipp Perplies vorgeschlagenen Leistungen orientieren [5]:

  • Kindergeld
  • Ausbildungsförderung (BAföG)
  • Hochschulzulassung, -studium, -prüfung und -zeugnis
  • Arbeitslosengeld
  • Arbeitslosengeld II
  • Abfallentsorgung (z. B. Sperrmüll anmelden)
  • Krisenvorsorgeliste ELEFAND
  • Apothekennotdienst
  • Geburtsurkunde und -bescheinigung
  • Meldebescheinigung und -registerauskunft

Auch wenn wir vor gut einem Jahr genau dieselbe Idee hatten: Es stellt sich zum jetzigen Zeitpunkt – nach kritischer Selbstreflexion – dennoch die Frage, ob es für eine Priorisierung nun nicht bereits zu spät ist. Zu einem frühen Zeitpunkt der OZG-Umsetzung hätte diese Priorisierung dazu geführt, Blaupausen und technologische Lösungen zu etablieren, die dann auch für die anderen Prozesse genutzt werden können. Nun existieren jedoch für die 575 Leistungen bereits unterschiedliche technische Ansätze und (Teil-)Lösungen. Eine Priorisierung führt nun im besten Fall dazu, dass die wichtigsten Leistungen zuerst verfügbar sind. Im schlechtesten Fall führt die Priorisierung dazu, dass niedriger priorisierte Leistungen sich noch weiter verzögern. Für eine Übertragbarkeit der Konzepte und Lösungen ist es jetzt auf jeden Fall schon zu spät.

Anforderungsmanagement vs. Design Thinking

Die Forderung nach einen durchgängigen Anforderungsmanagement trifft den Nagel auf den Kopf. Genau das sehen wir auch als zentrales Defizit der bisherigen Verwaltungsdigitalisierng; wir würden die Forderung mit unserer Brille natürlich etwas anders formulieren. Wir würden bei Nestler UUX Consulting sagen: Die Technologieentwicklung muss in einen Prozess der menschzentrierten Digitalisierung integriert werden. Davon gibt es einige. Manchmal werden diese Prozesse auch als Design Thinking Prozesse bezeichnet. Aber auch davon gibt es mehrere; denn wenn wir nach dem Design Thinking Prozess suchen, stellen wir fest: Der Prozess hat je nach Darstellung unterschiedlich viele Schritte. Und die Schritte sehen auch immer ein klein wenig anders aus. 

Eine zentrale Gemeinsamkeit haben jedoch all diese Prozesse aus der Familie der Design Thinking Prozesse: Es gibt innerhalb des jeweiligen Prozesses immer zwei unterschiedliche Perspektiven: Der erste Teil des Prozesses dreht sich um die Frage: „Das richtige Problem lösen“ und der zweite Teil dann um die Frage „Das Problem richtig lösen“. Beispielsweise im Double Diamond Process [6] gibt es (wie der Name schon sagt) zwei Diamanten: Im ersten Diamanten explorieren wir den Problemraum und im zweiten Diamanten explorieren wir den Lösungsraum. Nun erkennen wir auch, warum Anforderungsmanagement in diesem Kontext der falsche Fachbegriff ist:

Das Anforderungsmanagement hat die Lösung im Kopf und sammelt Anforderungen. Design Thinking hat das Problem im Kopf und sucht nach der richtigen Lösung.

Wenn wir die Verwaltung transformieren wollen, ist der Ansatz „Wir digitalisieren einfach alles“ weder ein tragfähiges Ziel noch menschzentriert. Sondern er führt uns auf direktem Weg in ein teures Technologiemuseum.

Mobile First und Digital First

Lassen Sie mich für einen ganz kurzen Moment Ihr Museumsführer durch die Technologiemuseen der Vergangenheit sein und dabei auch über die zunächst grandios klingende Idee Digital First sprechen. Der Weg zu dem Konzept Digital First erinnert uns direkt an die Entwicklung von Webseiten: Damals brachte Mobile First Bewegung in die Welt der Desktop-Webseiten. Große Innovation durch die richtige Fokussierung – so lautete die Hypothese dieser Idee. Und dennoch war auch das eine primär technologische Perspektive. Wir merkten damals schnell: Es geht auch hier nicht um die Technologien, es geht um die Menschen. 

Und was brauchen die Menschen? Passende Inhalte. Schrittweise transformierten wir uns also von Mobile First zu Content First [7]. Aber auch hier fragten wir uns: Was sind denn nun die richtigen Inhalte? Häufig sind „unsere Inhalte und Perspektiven“ andere als die der Bürgerinnen und Bürger. Daher ist der letzte Schritt recht naheliegend: User first. Oder noch besser – da wir Menschen an einem Tag ohnehin so vieles gleichzeitig sind (z.B. Vater, Sohn, Mitarbeiter, Bürger, etc.): People first (oder gerne auch auf Deutsch: Menschen zuerst). 

So schön sich Digital First auch für den Gesetzgebungsprozess anhört – so unpassend ist es in Bezug auf die UUX-Prinzipien. Wir müssen erst den Lösungsraum explorieren, bevor wir den Lösungsraum regelmentieren. Erfreulicherweise ist den Autor*innen dieses Papiers das zumindest teilweise bewusst; die notwendige Differenzierung ist anhand des reflektierten Umgangs mit dem Digital-Only-Prinzip erkennbar.

#3: Die kommunale Ebene

So viel zur “Volldigitalisierung”. Es geht ebenso kurzweilig weiter: Die Kommunalebene in den Fokus rücken. Eine valide und naheliegende Forderung. Diese Forderung knüpft direkt an die Überlegungen zu People first an. Denn wer hat den tagtäglich den direkten Kontakt zu den Bürger*innen? Wer weiß denn aus der Praxis, an welchen Stellen die jeweiligen Anträge missverständlich sind? Wer weiß denn, zu welchen Themen die meisten Rückfragen kommen? Wer kennt die häufigsten Fehler der Antragssteller*innen? Genau. Die Mitarbeiter*innen in den Kommunen. Dieses für die Verwaltungsdigitalisierung wertvolle Wissen ist also „in der öffentlichen Verwaltung“ bereits vorhanden. Es liegt nur nicht immer auch denjenigen vor, die für die Verwaltungsdigitalisierung verantwortlich sind.

Wir müssen – und dafür kämpfen wir tagtäglich bei Nestler UUX Consulting – den direkten Kontakt mit denjenigen herstellen, deren Probleme wir lösen. Und dafür beherrschen UUX Expert*innen eine Vielzahl von wissenschaftlich fundierten, menschzentrierten Methoden. Aber niemand hat je gesagt, dass wir uns nicht auch der Expertise derjenigen bedienen dürfen, die einen tiefen Einblick in die Motivationen und Bedürfnisse der Bürger*innen haben. Wir müssen nicht alle Fragen selbst stellen. Bottom-up oder Top-down? Weder noch. Wir müssen das Thema aus beiden Richtungen gleichzeitig bearbeiten und uns in der Mitte treffen. Und wie bei einem guten Tunnelbau sollten wir darauf achten, dass wir uns am Ende nicht verpassen.

Der Vorschlag der Länder bleibt hier zu vage: Kommunen werden bei den Kosten für die Anbindung der Fachverfahren unterstützt. Auch diese Betrachtungsweise ist aus UUX-Perspektive zu technologisch. Der Abgleich der Lösungen ist wichtig – aber viel wichtiger für eine positive und ganzheitliche Employee Experience ist der Abgleich und die Konsolidierung der heterogenen Erfordernisse aus der Verwaltungspraxis.

#4: Einer für alle(s)

Wer bringt die heterogenen Bedürfnisse erst auf den Tisch und dann alle unter einen Hut? Die Antwort des OZG 1.0 lautete sinngemäß: Wir machen das zunächst nur einmal. Und wenn wir das einmal schaffen, dann sind die 10.999 weiteren Male nur noch ein Klaks. Kurzum:

Einer für alle (EfA) klingt wie die ultimative Antwort auf die Frage, wie aus einem einzelnen Leuchtturm ein konsistentes Beleuchtungskonzept für die gesamte Bundesrepublik entstehen kann.

Wir haben die Vielzahl an kritischen Stimmen zu diesem Ansatz in unserem Praxisleitfaden dazu bereits Anfang 2022 wie folgt zusammen gefasst: Wenn das Eine für alle funktionieren soll, dann müssen auch alle in die Ausgestaltung des Einen eingebunden werden [2].

Gefangen im alten Computerzeitalter

Unsere Kritikpunkte werden in dem Papier teilweise adressiert. Insbesondere wird deutlich, dass „der Eine“ manche Dinge unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen des jeweiligen Bundeslandes entwickelt. Irgendwo in dem „für Alle“ sind also landesspezifische und allgemeingültige Aspekte zu trennen. Doch auch nach dieser Logik würde die menschzentrierte Gestaltung den technologischen Realitäten hinterherlaufen. Erst die Lösung und dann ein EfA-Eignungscheck? Das steht nicht nur im Widerspruch zu den Prinzipien des Design Thinking – sondern ist auch das Gegenteil von Anforderungsmanagement. EfA wird den Geburtsfehler der „Nachnutzung“ auch durch diesen Ansatz leider nicht los. Das Konzept der Nachnutzung beschreibt sprachlich, ideologisch und technologisch nach wie vor das alte Computerzeitalter:

The old computing is about what computers can do. The new computing is about what people can do.

Ben Shneiderman, 2002

Die Bedeutung des Nutzungskontextes

Es gibt eine Vielzahl von Dimensionen, in denen sich unsere deutschen Kommunen unterscheiden. Die Frage, in welchem Bundesland sie liegen, ist dabei nur eine von ganz viele Fragen. Weitere Dimensionen die uns hier ad hoc darüber hinaus einfallen sind beispielsweise: Die Einwohner*innenzahl, die Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Ämtern, regionale Besonderheiten, die Alters- und Bildungsstruktur der Bevölkerung, und vieles mehr. All diese Aspekte sind Dimensionen des Nutzungskontextes und entscheiden über den Erfolg der Nachnutzung. Aktuell ist bereits zu erkennen:

Die Nachnutzung scheitert an viele Stellen aufgrund der signifikant unterschiedlichen Nutzungskontexte.

Natürlich brauchen wir nicht 11.000 Lösungen. Aber um überhaupt zu wissen, wie viele Lösungen wir brauchen, müssten wir auch hier systematisch menschzentriert vorgehen. Menschzentrierung ist kein Buzzword, es ist eine wissenschaftlich fundierte Methodik. Es schön, wenn das Papier von Nutzerorientierung spricht, aber es muss dann auch irgendwo und irgendwann den methodischen Unterbau liefern. Unterm Strich erscheint der Ansatz mit Quorum und Entwicklergemeinschaften von außen betrachtet wie ein staatlich orchestrierter Weg in Abhängigkeiten von Monopolen. Hier sollten die Länder mutig einen Strategiewechsel initiieren – getreu dem Leitsatz „Gemeinsam für Alle“ [8].

#5: Das Single Digital Gateway

Das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben im Jahr 2018 beschlossen, mit der Verordnung zum Single Digital Gateway (SDG) ein einheitliches digitales Zugangstor zur Verwaltung in der EU zu schaffen [9]. Ähnlich wie die einheitliche Identifikation der Bürger*innen scheint es vernüftig, wenn sich alle Leistungen auf einem einzigen Portal finden lassen.

Denn wir Bürger*innen wissen häufig einfach nicht (und müssen es im Zweifelsfall auch nicht wissen), ob nun die Kommune, das Bundesland oder der Bund für unser Anliegen zuständig ist. Andererseits: Wann hatten Sie eigentlich das letzte Mal (in Ihrer Rolle als Bürger*in) überhaupt direkt mit einer Bundesbehörde zu tun? Vermutlich eher selten; denn selbst einige Bundesleistungen (z.B. das Elterngeld) beantragen Sie nicht direkt beim Bund, sondern in Ihrem jeweiligen Bundesland (in Bayern ist dafür beispielsweise das Zentrum Bayern Familie und Soziales in Bayreuth zuständig). Eine eher seltene Ausnahme bildet hier beispielsweise die Innovationsprämie für Elektrofahrzeuge; der Umweltbonus ist nämlich tatsächlich direkt bei einer Bundesbehörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), zu beantragen. 

Was bedeutet das praktisch für das SDG? Wenn – wie gefordert – nun alle Leistungen auf einem Portal zu finden sind, dann muss ein Portal wie „Your Europe“ [10] zunächst einmal unter den Bürger*innen bekannt gemacht werden. Ich persönlich würde „bei der EU“ zunächst nicht nach einem Onlineantrag für die Verlängerung meines Personalausweises suchen – sondern bei meiner Kommune. Aber: Natürlich ist es nicht schädlich, wenn diese Anträge sowohl bei meiner Kommune als auch in dem zentralen Portal zur Verfügung stehen.

An dieser Stelle ist noch nicht ganz klar, welche Aufwände – wenn alle anderen Aspekte gelöst sind – hier konkret noch entstehen. Vermutlich müssen nur ein paar Links gesetzt werden, denn eine einheitliche Id haben wir nach Umsetzung von Idee #1 bereits. Und dann ist eine solche Integration nicht schädlich – auch wenn diese Idee für die allermeisten Bürger*innen kein echter game changer sein dürfte.

#6: In Ökosystemen denken

Der Begriff des Ökosystems ist in Bezug auf die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ein sehr zentraler. Das Denken in Ökosystemen stärker zu adressieren und zu forcieren ist aus meiner persönlichen Wahrnehmung der stärkste Impuls dieses Papiers. Bei den großen Techkonzernen in den USA, den sogenannten GAFAM (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft), fand im Zuge der digitalen Transformation in dem letzten Jahrzehnt ein Paradigmenwechsel statt:

Ökosysteme vs. Technologien

Was war die größte Innovation von Apple? Das iPhone? Aus einer primär technologischen Betrachtung liegen Sie richtig. Aber ich würde antworten: Der iPod. Und ich würde die eigentliche Innovation nicht in dem Gerät selbst verorten, sondern in dem dahinter stehenden Service – nämlich iTunes. 

Diese frühen Anfänge der heutigen iCloud waren ein entscheidender Erfolgstreiber für Apple., Dadurch, dass Apple Menschen seit Einführung des iPods durch Integration und Verzahnung ein ganzheitliches Erlebnis bieten kann, entsteht ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Über die konkreten Herausforderungen, die sich ergeben, wenn eine derartige Machtkonzentration bei einigen wenigen Konzernen liegt, haben wir bereits an anderer Stelle in diesem Blog diskutiert [8]. Doch klar ist: Wenn Sie einmal die Vorzüge dieser Verzahnung erleben, wir nennen diese konkreten Vorzüge Usability und User Experience (UUX), dann fragen wir uns nicht mehr: Welches Smartphone kaufe ich als nächstes? Sondern: Welches iPhone passt zu mir?

Die Ökosystemisierung der öffentlichen Verwaltung

Vergleichen wir die in den Papier skizzierten Überlegungen zu öffentlichen Ökosystemen nun mit  einem innovativen, amerikanischen Techkonzern, so stellt sich direkt eine Frage: Wer soll zukünftig für dieses öffentliche Ökosystem verantwortlich sein? 

Dieses Ökosystem? Die unklaren Zuständigkeiten werden manchmal an Kleinigkeiten deutlich – in diesem Fall: Die Länder denken im Plural, also in Ökosystemen. Wenn Google für sein weltweites Geschäft nur in einem Ökosystem denkt, sollte dann nicht dem Staat (insbesondere aufgrund von Punkt #1 und #5) auch ein Ökosystem ausreichen? Man könnte also fordern:

Das Ökosystem wird federführend von der FITKO entwickelt.

Vorschlag von Prof. Dr. Simon Nestler für die Klärung der Zuständigkeiten

Stattdessen fordert man jedoch:

Um die strategische Steuerung der Standardisierungsvorhaben im Entscheidungsbereich des IT-Planungsrats zu optimieren, erarbeitet die FITKO eine Digitalisierungsstrategie und eine daraus abgeleitete Standardisierungsagenda.

Letztere definiert Rahmenvorgaben im Bereich der IT-Standardisierung.

Forderungen der Bundesländer zur klaren Regelung der Verantwortlichkeiten

Ok, sehr schade. Das OZG 2.0 (oder wie auch immer es heißen wird) ist eine große Chance, öffentliche Verwaltung neu zu denken. Es ist eine einmalige Chance, groß zu denken. Ich bin mir nicht sicher, ob wir so in fünf Jahren tatsächlich ein öffentliches Ökosystem haben werden. Ich bin mir nach etwas frustriertem Grübeln gar nicht mehr so sicher, was die Autor*innen dieses Papiers eigentlich genau unter dem Begriff „Ökosystem“ verstehen…

#7: Digitalisieren

Wir müssen es jetzt einfach machen. Und das, was uns aktuell noch davon abhält, loszulegen, müssen wir beiseite räumen. Hört sich gut an – und können wir natürlich direkt unterschreiben. Weiter zum nächsten Punkt. Moment. Haben wir nicht bereits Milliarden investiert, um genau diese beiden Ziele zu erreichen: Digitalisieren und Hindernisse beseitigen? Wir müssen uns also doch wohl oder übel näher mit den Inhalten beschäftigen.

Sitzung: Sitzplatz mit Tischmikrophon
Die öffentliche Verwaltung digitalisieren. Diesmal aber wirklich!

Hier wird nämlich nochmal explizit verdeutlicht, dass ein „digitaler Antrag“ auch explizit einen „digitalen Bescheid“ beinhaltet. Da haben wohl findige Verwaltungsnichtdigitalisierer bisher einfach nur ein digtal ausfüllbares pdf-Dokument gebaut und der restliche Prozess blieb analog? Dennoch war das nach meinem Verständnis in Punkt #2 bereits enthalten.

Opt-Out – überall und jederzeit?

Ein Opt-Out für digitale Prozesse klingt hingegen nun nach einem typisch deutschen Vorschlag. Braucht man vermutlich, muss aber nicht notwendigerweise in einem Strategiepapier diskutiert werden. Im Gegensatz zu der Frage, ob bestimmt Abläufe im Analogen (zum jetzigen Zeitpunkt) nicht vielleicht effektiver, effizienter und zufriedenstellender sind. Aber diese bleibt so lange schwierig wie Technologien (neben ein bisschen „Menschzentrierung“) weiterhin das Ziel der Digitalisierung bleiben.

Grundsätzlich enthält #7 keine substantiell neuen Ideen, sondern betont, dass Gesetzgebung und Umsetzung besser verzahnt werden müssen.

Ein Digitalcheck ist vielleicht das richtige, juristische Werkzeug für die Mühlen der Gesetzgebung.

UUX-Expert*innen würden vermutlich eher an gemeinsame Workshops mit denjenigen, die Gesetze machen, denjenigen, die digitale Lösungen entwickeln und denjenigen, die digitale Lösungen nutzen, denken.

Die der Verwaltungsdigitalisierung zugrunde liegende Fragestellung ist nun einmal ein multidimensionales Optimierungsproblem. Auch in der Gesetzgebung muss ein wasserfallartiger Prüfprozess dringend durch ein iteratives, agiles und schrittweises Optimieren abgelöst werden. Wir brauche mehr Design Thinking in der öffentlichen Verwaltung – auch unter den Jurist*innen.

Menschen beratschlagen im Stuhlkreis zu neue Gesetze zur Digitalisierung der Verwaltung
Auch Jurist*innen profitieren von Design Thinking. Wir brauchen dafür keinen bunten Stellwände und Post-Its – sondern einen geschützten Raum, in dem wir Ideen aus allen Perspektiven kritisch beleuchten dürfen. Alle Akteure sitzen mit am Tisch; sofern wir für unser Format überhaupt einen Tisch brauchen.

#8: Die Finanzierung verbessern

Das ist nun nicht überraschend: Das kostet alles Geld. Und das Geld muss außerdem zielgerichtet bei denen ankommen, die die Hauptlast der Digitalisierung zu schultern haben. Die Kommunalebene rückt also zwar in den Fokus (#3), aber das Geld bleibt dann doch besser im föderalen Globalbudget.

Addon #1: Die Zuständigkeiten

Wie geht es nun mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung weiter? Absehbar ist wohl bereits jetzt, dass wir vor der palamentarischen Sommerpause nicht mehr mit einer Verabschiedung des VVDG (Verwaltungsvolldigitalisierungsgesetzes) oder ähnlichem rechnen dürfen. Es besteht noch erheblicher Klärungsbedarf und die Beratungen werden noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen.

Gleichzeitig ist in jeder Zeile dieses Positionspapiers der Länder das zähe Ringen um einen gemeinsamen Konsens zu erkennen. Die föderale Struktur und die Verwaltungsgliederung der Bundesrepublik ist häufig eine große Stärke, da durch diese Implementierung des Prinzips teile und herrsche (engl. divide and conquer) konkrete Fragestellungen auf der jeweils passenden Abstraktionsebene gelöst werden können. Die Frage ist also nicht, ob im Kontext der Digitalisierung diese föderalen Strukturen noch Sinn machen. Die Frage ist vielmehr, auf welcher der Ebenen die jeweiligen Aktivitäten zu verorten sind. 

Wer ist eigentlich für was verantwortlich?

Und hier herrscht aktuell nach wie vor ein Chaos der Zuständigkeiten. Das Wimmelbild des Normenkontrollrates [11] fand seinen Weg inzwischen in alle großen Medien. Doch passiert ist seitdem relativ wenig. Daher fehlt aus meiner Sicht hier ein Punkt #9: Regeln Sie die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen in Bezug auf die Verwaltungsdigitalisierung klarer.

Im Moment ist der Bund – in der Wahrnehmung von Expert*innen (beispielsweise Helmut Lämmermeier [12]) – nicht eine zentraler Akteur, sondern “nur” der Geldgeber. Die Lösung wäre einfach, denn wir sehen in der analogen Welt doch bereits, wie eine sinnvolle Aufteilung aussieht:

  • Der Bund legt die grundlegenden Standards für die analogen Verwaltungsprozesse fest. Im Analogen bedeutete das beispielsweise: Wir nutzen für die Anträge ein DinA4 Blatt. Die Anträge werden von den Bürger*innen ausgefüllt und unterschrieben. Die Kommune erstellt nach Bearbeitung einen Bescheid und verschickt diesen per Post.
  • Die Länder konkretisieren die analogen Verwaltungsprozesse – unter Berücksichtigung der jeweils geltenden, rechtlichen Rahmenbedingungen. Im Analogen bedeutete das beispielsweise: Wir leiten aus dem Gesetz den Prozess ab; dazu konkretisieren wir auf Ebene der Interaktion unter anderem die Eingabefelder (das Formular), die einzelnen internen Verarbeitungsschritte und die Ausgabefelder (den Bescheid).
  • Die Kommunen arbeiten den digitalen Prozess ab. Im Analogen bedeutete das dann beispielsweise: Wir konkretisieren den Ablauf der internen und externen Korrespondenzen sowie die visuelle Ausgestaltung der einzelnen Artefakte; wir regeln in diesem Zusammenhang die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die jeweiligen Prozessschritte.

Die fünf Ebenen der User Experience (UX)

Das Dilemma der gegenwärtigen Ansätze wie „Einer für Alle“ ist nun eine vermischte Bearbeitung der insgesamt fünf Ebenen des Nutzungserlebnisses [13]:

  • Strategy (Strategie)
  • Scope (Umfang)
  • Structure (Struktur)
  • Skeleton (Gerüst)
  • Surface (Oberfläche)

Wir müssen diese Zuständigkeiten besser regeln. Auf der abstrakten Ebene von Garret ist das nicht ganz leicht. Daher wollen wir uns einmal ansehen, wie das für die Geschäftsprozesse der Verwaltung aussehen könnte – denn diese Prozesse stehen ja im Kern unserer Überlegungen zum OZG, VVDG, oder wie auch immer es dann heißen wird.

Addon #2: Die Verwaltungsprozesse

Die Neustrukturierung der Zuständigkeiten in Bezug auf Fachverfahren und Onlinezugänge bedeutet konkret: Welche Plattform wir für die Abarbeitung von digitalen Prozessen verwenden, ist Aufgabe des Bundes; sinnvollerweise wird sie nach dem Prinzip „Public money, public code“ [8] auf Grundlage von bereits verfügbaren Plattformen entwickelt. Diese Plattform ist dann geeignet, um damit jegliche Art von Online-Anträgen und Verwaltungsprozessen abzuarbeiten. 

Parallel zur Entwicklung der Plattform werden in den einzelnen Bundesländern die Prozesse auf eine standardisierte Weise dargestellt. Diese Prozessdarstellung erfolgt in einem Format, welches die Plattform des Bundes direkt ausführen kann. Die Kommunen können diese Prozesse aufgrund der Transparenz der Prozesse flexibel an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen und wie in der analogen Welt Zuständigkeiten für die einzelnen Prozessschritte definieren.

Prozessbeschreibungen ausführbar machen

Sie fragen sich nun an dieser Stelle womöglich: Ist das überhaupt machbar? Können wir eine Prozessdarstellung finden, die nicht als Vorlage für eine anschließende Implementierung durch Dienstleister dient, sondern bereits die Implementierung ist? Anders gefragt: Können wir Prozessdarstellungen ausführen? Das wäre ja ein fundamentaler Paradigmenwechsel in der Verwaltungsdigitalisierung: Wir würden die Kommunen befähigen, die in den Fachverfahren implementieren Prozesse in einem (menschenlesbaren) Format einzusehen und an die Bedürfnisse anzupassen. Die Länder müssten die Übertragbarkeit von Lösungen aus anderen Bundesländern nicht mehr umfassend prüfen – sie könnten sehen, ob der im System hinterlegte Prozess zu den eigenen Gesetzen passt. Ist das nicht der Fall, so können sie die Prozessschritte direkt entsprechend anpassen. Ein Traum. Menschzentrierung auf einem gänzlich anderen Niveau. Zu schön, um wahr zu sein?

BPMN und Workflow Engines

Erstaunlicherweise gibt es das alle tatsächlich längst: Für Geschäftsprozesse gibt es hier beispielsweise die BPMN und auch passende Workflow Engines, mit denen sich diese Prozesse ausführen lassen. Eine gute Darstellung, wie das in der öffentlichen Verwaltung genutzt werden könnte, liefert beispielsweise mein Hochschulkollege Volker Stiehl [14]. Eine umfassende Darstellung seiner bisherigen Überlegungen würde nun den Rahmen dieses Beitrages sprengen – hier soll es ja zunächst um das Positionspapier der Länder geben. Daher beschränke ich mich an dieser Stelle auf den abschließenden Hinweis: Die Neufassung des OZG ist der perfekte Zeitpunkt, um disruptiven Ideen eine Chance zu geben. Das gänzliche Ökosystem aus Herstellern, Kommunen, Ländern und Bund direkt neu zu überdenken braucht jedoch unfassbar viel Mut. 

Wenn aktuell der Mut fehlt, die bisherige Herangehensweise kritisch zu überdenken, so sollte zumindest gemeinsames, strategisches Innovationsprojekt gestartet werden, um diesen Ansatz anhand ausgewählter Geschäftsprozesse in der öffentlichen Verwaltung umfassend zu erproben. Die Ideen klingen zu vielversprechend, um sie nicht mindestens einem intensiven Praxistest zu unterziehen. 

Fazit: Teilt und herrscht

Das Positionspapier macht deutlich: Die Länder haben klare Erwartungen an die weitere Ausgestaltung des Onlinezugangsgesetzes. Die Steuerung des Verwaltungsdigitalisierung erfolgt in Deutschland über den IT-Planungsrat, in dem diese Länder vertreten sind:

„Der IT-Planungsrat fungiert als zentrales politisches Steuerungsgremium zwischen Bund und Ländern in Fragen der Informationstechnik und der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen.

Er fördert und entwickelt gemeinsame nutzer:innenorientierte IT-Lösungen und ebnet so den Weg für eine effiziente, sichere und gut vernetzte digitale Verwaltung in Deutschland.“

https://www.it-planungsrat.de/der-it-planungsrat/aufgaben

Wenn nun die CIOs der 16 Bundesländer als Reaktion auf den Referentenentwurf zum OZG-ÄndG ein Positionspapier mit den skizzierten acht Kernthemen veröffentlichen, dann läuft dieser Prozess noch nicht rund. Nüchtern beobachtet hat das Thema nach wie vor noch nicht den politischen Stellenwert; die Tragweite der Entscheidungen im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung ist vielen Politiker*innen noch nicht vollumfänglich klar.

Der Bund schafft die technischen Grundlagen

Daher hält sich die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Reibungsverluste zwischen Bund und Ländern nach wie vor in Grenzen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der formale Rahmen für eine gemeinsame Verwaltungsdigitalisierung alles andere als klar ist. Einerseits die Zuständigkeit des Bundes für das OZG-ÄndG – andererseits die Verantwortung der Länder für die OZG-Umsetzung. 

Die Länder implementieren die Prozessabläufe

Teile und herrsche klingt toll; es funktioniert aber nur, wenn wir nun endlich eine gemeinsame (technische) Grundlage schaffen. Hier ist der Bund nun gefordert, diese Grundlagen zu entwickeln. Auf dieser gemeinsamen Basis können die Länder dann schrittweise die einzelnen Prozessabläufe implementieren, ohne sich um die technischen Aspekte kümmern zu müssen. 

Die Kommunen bleiben Herrinnen der Prozesse

Die Kommunen können nur dann ihre Nähe zu den Bürger*innen nutzen und für die Optimierung der Services verwenden, wenn sie auch tatsächlich die Prozesse an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen können. Dafür müssen wir für eine gelungene digitale Employee Experience unsere Herangehensweise bei der Entwicklung von behördlichen Fachverfahren verändern.

Wir uns ein echter Neustart gelingen?

Die Aufgaben und Herausforderungen sind klar. Dennoch hinterlässt dieses Papier einen faden Nachgeschmack. Die 16 Länder befinden sich nach wie vor zu sehr im Ausbügeln von Fehlern aus der Vergangenheit – und zu wenig im Modus des proaktiven Denkens in die Zukunft: Wie sollte die Verwaltung in 5, 10 oder 15 Jahren aussehen? Was ist die Vision? Wie schaffen wir eine gemeinsame technische Grundlage – und behalten gleichzeitig die Hoheit über unsere Prozesse?

Wir haben im Jahr 2023 die einmalige Chance, Verwaltungsdigitalisierung von Grund auf neu zu denken. Diese dürfen wir nicht ungenutzt verstreichen lassen!

[1] https://www.stmd.bayern.de//srv/htdocs/wp-content/uploads/2023/03/Gemeinsame-Laenderposition.pdf

[2] https://u-ux.de/praxisleitfaden

[3] https://www.pfennigparade.de/pressemitteilung-feierliche-eroeffnung-test-labor-barrierefreiheit/

[4] Die AKDB schlug dazu im September 2023 den bayrischen Unternehmer*innen folgenden Migrationsprozess vor: “Das BayernID-Unternehmenskonto werden wir daher zugunsten des ELSTER-Unternehmenskontos gegen Ende des dritten Quartals deaktivieren. Wir möchten Sie bitten, alle für Sie relevanten Dokumente aus Ihrem Postfach herunterzuladen. Sollten zum Zeitpunkt der Deaktivierung des BayernID-Unternehmenskontos noch Verfahren laufen, werden wir Sie über mögliche nachträgliche Eingänge in Ihrem Postfach informieren. Sie können sich auch an die für das Verfahren zuständige Behörde wenden und einen eigenen Rückkanal abstimmen.”

[5] https://www.d-velop.de/blog/compliance/onlinezugangsgesetz-2022/

[6] https://www.designcouncil.org.uk/our-work/skills-learning/tools-frameworks/framework-for-innovation-design-councils-evolved-double-diamond/

[7] Hahn, Martin. Webdesign: Das Handbuch Zur Webgestaltung. Rheinwerk, 2020. 

[8] https://uuxfueralle.blog/nachhaltig-by-design-wie-fuehrt-uux-zu-einer-besseren-digitalisierung

[9] https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/grundlagen/info-sdg/info-sdg-node.html

[10] https://europa.eu/youreurope/index_de.htm

[11] https://www.normenkontrollrat.bund.de/Webs/NKR/DE/digitaler-und-moderner-staat/digitale-verwaltung/digitale-verwaltung_node.html

[12] https://u-ux.de/praxisleitfaden/interview/laemmermeier

[13] Garrett, Jesse James. The Elements of User Experience: User-Centered Design for the Web and Beyond. New Riders, 2011. 

[14] Stiehl, Volker. Prozessgesteuerte Anwendungen Entwickeln Und Ausführen Mit Bpmn Wie Flexible Anwendungsarchitekturen Wirklich Erreicht Werden Können. Dpunkt-Verl, 2013. 

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