Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. Wir haben genaue Vorstellungen davon, wie wir in Zukunft leben möchten und wie wir in Erreichung dieser Ziele handeln sollten. Doch wir wissen auch: Die richtigen Entscheidungen sind häufig nicht die bequemsten Entscheidungen. Die richtigen Entscheidungen kosten Kraft und Willensstärke. Wenn Unternehmen nun von der Politik fordern, den Verbraucher*innen die freie Wahl zu lassen und dann gleichzeitig Ihre gesamtes Marketingbudget nutzen, um genau diese freie Wahl zu Ihren Gunsten zu beeinflussen, dann sind unsere Handlungen eines bestimmt nicht: frei.
Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.
Matthäus 26,41
Da wir im Themenfeld Usability und User Experience, oder kurz: UUX, nun die Menschen im Zuge der Digitalisierung in den Mittelpunkt stellen, bedeutet das konkret: Wir Menschen sind nach dieser Perspektive keine Produkte der Plattformökonomien, sondern in der menschzentrierten Digitalisierung sind wir Individuen mit Bedürfnissen und Erfordernissen. Die Erfüllung dieser Bedürfnisse darf nicht von unserer mentalen Willensstärke abhängen, sondern muss “by design” Teil der Ausgestaltung der digitalen Werkzeuge selbst sein.

Die Grüne Digitalkonferenz (#gdk23) stand dieses Jahr passenderweise unter dem Motto „nachhaltig by design“. Digitalpolitiker*innen, Wissenschaftler*innen, Unternehmer*innen, Grüne Mitglieder und Interessierte aus der Zivilgesellschaft tauschten sich in Diskussionen und Workshops rege zu den vielfältigen Chancen und komplexen Risiken der Digitalisierung in Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele der Bundesregierung aus.
UUX führt zu der Vermeidung von Softwareschrott
Bereits in der Eröffnungsrede von der Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner [1] wurde deutlich: Digitalisierung ist eine einmalige Chance für mehr Nachhaltigkeit. Doch gleichzeitig gibt es ein großes Risiko: Folgt auf den Elektroschrott nun der Softwareschrott?
So vielfältig die Anwendungsfelder der Digitalisierung sind – so breit gefächert sind die sich dadurch ergebenden Chancen. Angefangen von der Logistik (z.B. durch die vereinfachte Koordinierung von Paketdienstleistern), über verschiedene Bereiche der Produktion (z.B. durch ein besseres Energiemanagement) bis hin zu der Kreislaufwirtschaft (z.B. durch gezieltere Unterstützung der industriellen Transformation) zeigt sich: Wir brauchen die Digitalisierung zur Erreichung unserer Nachhaltigkeitsziele.
Damit die in diesen Anwendungsfeldern verwendeten Softwareanwendungen auch eine langfristige und nachhaltige Perspektive haben, ist eine frühzeitige Qualitätssicherung essentiell. Genau aus diesem Grund kämpfen wir bei Nestler UUX Consulting schon von Anfang an dafür, dass Softwareentwicklung eng an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet wird. Durch diesen iterativen Prozess lässt es sich vermeiden, dass Bedarfe und Lösungen gegenläufig entwickeln.
Diese Ansätze aus dem Themenfeld Usability und User Experience (UUX) sind – wie im Verlauf der Konferenz immer wieder deutlich wurde – eine ganz entscheidende Grundlage für eine fundierte Auseinandersetzung mit nachhaltiger Digitalisierung.
Bessere UUX entsteht durch Entflechtung von Hard- und Software
Denn am Ende basiert unsere schöne, neue, digitale Welt immer wieder auf einer einzigen Technologie: Einem Computer in einem schönen Gehäuse. Egal ob Laptop, Smartphone, Tablet, Fernseher, Fahrzeug, Waschmaschine oder Kaffeemaschine – Cory Doctorow machte in seinem Impulsvortrag deutlich: Technologisch betrachtet basieren all diese Systeme auf ähnlichen Grundlagen.
In allem steckt das, was wir Informatiker*innen gerne als universelle Turing Maschine bezeichnen. Das bedeutet: Es gibt keine technischen Barrieren zur nutzungsoffenen Verwendung unserer Geräte. Wenn unser schönes, aber nicht mehr ganz so neues Smartphone also nicht mehr mit Updates vom Hersteller versorgt wird, dann wäre das Aufspielen einer eigenen Software aus technischer Sicht problemlos möglich. Digitalsperren sind somit kein technisches Problem, sondern nur ein rechtliches.
Aus Perspektive der Mensch-Computer-Interaktion bedeutet das in der Konsequenz: Durch diese Einschränkungen verlieren wird Potential in Bezug auf die optimale Adaption an spezifische Nutzungskontexte. Herr Doctorow macht dabei deutlich: Eine flexiblere Softwarenutzung ist ein Baustein für weniger Elektroschrott. Ist es vor diesem Hintergrund dann wirklich hilfreich, wenn Gerät, Betriebssystem und Anwendungen vom gleichen Hersteller kommen dürfen?
Schnittstellen ermöglichen keine gleichberechtigte Chance auf gute UUX
Der von Herrn Doctorow als “Teillösung” bezeichnete Ansatz ist die Etablierung von Standardschnittstellen. Dieser ermöglicht Drittanbietern den Zugang zu geschlossenen Ökosystemen. Die Abhängigkeiten und Limitationen werden dadurch aber nur bedingt adressiert.
Das Leitparadigma lautet weiterhin: Es sind die Smartphones der Hersteller – und nicht die Smartphones der Nutzer*innen. Echte Souveränität und Autonomie sind dadurch nur bedingt möglich. Gleichzeitig entsteht aus dieser Gemengelage eine Erwartungshaltung von uns Nutzer*innen gegenüber den Herstellern: Unsere Erwartung ist, dass die Hersteller bei gravierenden Problemen die Drittanwendungen abschalten oder einschränken. Und auch wenn sich diese Abschaltung im Nachhinein als ungerechtfertigt herausstellen sollte: Der faktenintensive Prozess hat bis dahin schon zu gravierenden negativen Konsequenzen bei den Drittanbietern geführt – ein gleichberechtigter Marktzugang ist so nicht wirklich möglich.
Aus Perspektive der Usability und User Experience steckt hier ein großes Problem: Denn genau diese Bündelung der verschiedenen Aspekte bei nur einem Unternehmen war in den letzten Jahren ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine positive User Experience. Integration und Verzahnung sind zentrale Bestandteil des Erfolgs von Apple & Co.: Erst durch die enge Verknüpfung von Gerät, Betriebssystem und Anwendung lässt sich ein rundum überzeugendes Nutzungserlebnis schaffen.
Das Leiden der (jungen) Nutzer*innen ist vermeidbar
UUX Expert*innen sind also extrem herausgefordert, den Nutzer*innen mehr Freiheit zu ermöglichen – ohne die Komplexität überproportional zu erhöhen. Oder anders formuliert: Freiheit ja. Aber bitte nicht zu Lasten der UUX.
Ein möglicher Weg könnte sein, die Interoperabilität von Software zu verbessern. Der Rahmen für die Grenzen dieser Interoperabilität sollte dabei nicht länger von den Plattformen gesetzt werden, sondern von den gesetzlichen Grundlagen. So sind nicht die Konzerne die Hüterinnen der Privatsphäre ihrer Nutzer*innen, sondern die DSGVO. Das würde in letzter Konsequenz bedeuten: Es wären auch neue Mittel und Wege möglich, um Defizite zu beheben.
Ansätze wie Bots, Scraping [2] oder Reverse Engineering würde auch Konsequenzen für die UUX haben: Es gibt einen stumpfen, wiederkehrenden Prozess? Wir automatisieren die Interaktion mit einem kleinen Hilfsprogramm. Die benötigten Informationen sind über die Schnittstelle nicht vernünftig zugänglich? Wir lesen die Daten direkt in den Oberflächen der Anwendungen aus. Die benötigten Optimierungen oder Barrierefreiheitsfunktionen sind nicht integriert? Wir passen die Anwendung selbst an die konkreten Bedürfnisse an. All diese Dinge schaffen einen Hebel, dass die theoretische Möglichkeit dieser Aktivitäten bereits genügt, um entsprechende Optimierungen bei den Herstellern mit mehr Nachdruck voranzubringen.
Digitale Ansätze führen zu besserer Nachhaltigkeit
Durch die Veranstaltung zogen sich wie ein roter Faden immer wieder zwei Themen: Digitalisierung nachhaltig gestalten – und Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit. Zu dem zweiten Thema lieferte Prof. Dr. Mojib Latif wertvolle Impulse: Es gibt eine Vielzahl von Themenfeldern, bei denen eine rasche Digitalisierung zu unmittelbaren, positiven Effekten auf die Nachhaltigkeit führen wird:
- Im Energiesektor lässt sich durch Smart Grids der Energieverbrauch besser steuern.
- In der Landwirtschaft lässt sich Dünger gezielter und damit effektiver einsetzen.
- Im Gesundheitssektor lassen sich durch die digitale Patientenakte doppelte Untersuchungen vermeiden.
- In Büros sind Einsparungen durch hybrides Arbeiten und Home Office Lösungen möglich.
- In der Fertigung lässt sich durch digitale Zwillinge der Planungsaufwand reduzieren
- In Gebäuden lässt sich mithilfe von Smart Home der Energieverbrauch senken
Dennoch machte Herr Latif auch deutlich, dass die gegenwärtigen Herausforderungen auch das Ergebnis aus unserem bisherigen Umgang mit Technologien sind. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen brauchen wir nicht nur neue Technologien, sondern ein neues Verständnis der Digitalisierung. Genau dafür kämpft auch unser Team bei Nestler UUX Consulting: Wir wollen eine menschzentrierte Digitalisierung, die an den Bedürfnissen der Menschen ansetzt – anstatt an den technologischen Möglichkeiten.
„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“
Albert Einstein

Robert Habeck: Digitalisierung ist eine zweischneidige Angelegenheit
Die Produktion von Software erfordert ohne Zweifel ebenfalls Energie; daher ist laut Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck ein besonderes Schwert erforderlich: Einerseits müssen wir die von Herrn Latif beschriebenen Potentiale der Digitalisierung nutzen – die „eine Seite des Schwertes schärfen“ – und andererseits müssen wir die negativen Auswirkungen der Digitalisierung eindämmen – die „andere Seite des Schwertes stumpf machen“.
Die Leuchtturmprojekte müssen weiter ins Land leuchten
Das bedeutet konkret, dass erfolgreiche Ansätze aus einzelnen Branchen nun schnell in die Fläche gebracht werden müssen. Ein Beispiel sind die in der Automobilindustrie bereits erfolgreich zum Einsatz kommenden digitalen Zwillinge: Diese können nun mit einem Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums in Zukunft für alle Stakeholder*innen der Fertigung genutzt werden. Für den Mittelstand gibt es gleichzeitig ein Beratungskonzept, um Digitalisierung und KI besser nutzbar zu machen. Und auch in Startups ist Decarbonisierung durch Digitalisierung ein zentrales Thema. Laut Schätzungen des BMWK sind bereits 25% der Startups aufgrund ihres „Purpose“ bereits intrinsisch nachhaltig.
Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein
Damit schließt sich auch hier ein weiterer Kreis zu einer unserer zentralen Überzeugungen: Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Und genau dieses Mindset hilft uns nun dabei, beide Ziele in einen konzeptionellen und methodischen Rahmen zu bringen. Die Werkzeuge und Methoden der Mensch-Computer-Interaktion, des Themenfeldes Usability und User Experience (UUX), des Design Thinkings, der menschzentrierten Digitalisierung und des Service Designs schaffen hier den passenden Rahmen.
Im Zentrum dieser Vorgehensmodelle stehen nicht die technologischen Möglichkeiten, sondern die menschlichen Bedürfnisse. Die beste elektronische Lösung für die Grundsteuererklärung ist diejenige, die gar nicht mehr erforderlich ist, weil die Bedürfnisse und Erfordernisse durch eine automatische Erfassung erfüllt werden.
In welcher Zukunft wollen wir leben?
Der konsequente Fokus auf UUX führt uns auch automatisch zu unserem „Purpose“: In welcher Zukunft wollen wir leben – und wie transformieren wir uns aus der Gegenwart in diese Zukunft? Was sind unsere für die Transformation notwendigen Werkzeuge und Technologien? Aus „Digitale Lösung sucht Problem“ wird durch diesen Ansatz ein „Problem sucht Lösung“. Digital oder analog? – das ist erst die zweite Frage. Webseite, App oder Chatbot? – das ist dann frühestens die dritte.

Technologischer Fortschritt allein ist nicht die Antwort auf unsere Probleme
„Wir werden in Zukunft mehr Technologien brauchen“ – wir einer der Leitgedanken der anschließenden Diskussion von Frau Rößner [1], Dr. Marcel Dorsch vom Umweltbundesamt, Christine Regitz von SAP und Felix Sühlmann-Faul, Techniksoziologe. Digitalkonzerne wie SAP sind dabei aus Sicht von Frau Regitz primär Enabler für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Das genaue Verbesserungspotential hängt dabei stets von der konkreten Ausgangssituation ab – und lässt sich nur schwer pauschalisieren.
Unser digitaler Konsum: (K)ein Ende in Sicht?
Der Bedarf nach immer mehr Technologien warf in der weiteren Diskussion mit dem Publikum auch immer wieder die Frage nach einem „genug“ auf. Nachhaltigkeit stellt unseren Konsum grundsätzlich in Frage, und das betrifft auch den digitalen Konsum.
Die Forderung nach besserer Medienkompetenz ist in diesem Kontext jedoch nicht ausreichend. Verbraucher*innen sehen sich mit einer Branche konfrontiert, deren am besten funktionierendes Geschäftsmodell der Verkauf von Online-Werbung ist. In einer Welt von Nudging, Addictive Business Models und Dark Patterns müssen wir diesen Dingen mehr entgegen setzen als die Mündigkeit der Menschen. Aus Perspektive der UUX werden die Nutzer*innen mit Bedürfnissen zu der Ware der Plattformökonomie.
Der Mythos der verantwortungsvollen Verbraucher*innen
Doch welche Rolle spielen die mündigen Verbraucher*innen im Kontext der nachhaltigen Digitalisierung? Ein weiterer Ansatz in der Panel-Diskussion war die Verbesserung der Information. Ähnlich wie ein Nutri-Score für Lebensmittel sollte es einen Energie-Score für Apps geben. Auf den ersten Blick hört sich das nach einem charmanten Vorschlag an.
Doch das Problem: Diese Art der Bewertung erfordert zwangsläufig auch eine fundierte Bewertung des Nutzens. Damit ist dieser Score nicht länger eine Bewertung der technologischen Lösung. Wir müssten uns dann von dieser primär technologischen Herangehensweise lösen und stattdessen den tatsächlichen Nutzungsprozess bei der Bewertung berücksichtigen. Wir bräuchten unterm Strich also einen (unabhängigen) UX-Score für die Apps, welcher auch Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt.
Andernfalls können mündige Verbraucher*innen auch zukünftig keinen Bogen um die „digitale Schokolade“ machen. Eine Spiele-App hat – egal wie effizient sie programmiert ist – wenig Nährwert und viele leere Kalorien. Videotelefonie ist andererseits ressourcenintensiver als ein Telefonat – sorgt aber häufig für eine effizientere Kommunikation.
Digitalisierung ist nicht ein primär technologisches Problem
Die bisherigen Betrachtungen beschränken sich keinesfalls auf die digitalen Aspekte. Aus dem Publikum wurde dabei die berechtige Frage aufgeworfen, wo eigentlich genau die Grenzen zwischen Analogem und Digitalem verlaufen. Oder anders formuliert: Müssen gut funktionierende Systeme eigentlich digitalisiert werden?
Mein persönliches Fazit an dieser Stelle: Nachhaltig ist diejenige Technologie, die sich nachhaltig nutzen lässt. Und dieser Nutzungsprozess hängt gemäß DIN EN ISO 9241-11 von mehreren Aspekten ab; insbesondere von den Nutzer*innen, von der Aufgabe und von der technologischen Lösung.

Open Source: Ein Paradigmenwechsel für die Verwaltungsdigitalisierung
In einem von der Bundestagsabgeordneten Misbah Khan [3] moderierten Workshop ging es dann um das Thema „Freie und offene Software als zentraler Bestandteil divers aufgestellter, nachhaltiger digitaler Ökosysteme“. Das Thema wurde mit dem Bundestagsabgeordneten Dr. Konstantin von Notz, Peter Ganten von der Open Source Business Alliance, Dr. Eva Kern von der Leuphana Universität Lüneburg und zahlreichen weiteren Teilnehmer*innen aus dem Publikum beleuchtet.
Ein zentrales Thema war dabei das aktuell in der Beratung befindliche OZG-Änderungsgesetz.
Der souveräne Verwaltungsarbeitsplatz gelingt nur mit Open Source
Dabei wurde deutlich: In der Verwaltungsdigitalisierung ist ein Paradigmenwechsel essentiell, um die Abhängigkeit von einzelnen Herstellern zu reduzieren und echten Wettbewerb zu ermöglichen. Die Vision des souveränen Verwaltungsarbeitsplatzes basiert dabei auf einem Gedanken: „Mit Open Source erhalten öffentliche Verwaltungen mehr“.
Es geht im Kontext der öffentlichen Verwaltung bei Open Source nicht um kostenlose Software, es geht um nachhaltige Investitionen in Software.
Diskussion im Workshop zur Verwaltungsdigitalisierung
Konkret bedeutet das: Öffentliche Verwaltungen erhalten durch die Beschaffung von Software inkl. Quellcode die Möglichkeit, die Weiterentwicklung und Aktualisierung langfristig – unabhängig von der jeweiligen Firmenpolitik – zu sichern. Dabei wurde deutlich: „Public money, public code“.
Open Source schafft Freiräume für eine bessere Fokussierung auf UUX
Das Thema Usability und User Experience (UUX) wurde im Kontext von Open Source kontrovers diskutiert. Die Beobachtung, dass manche kostenlose Open Source Lösungen in Bezug auf die UUX proprietären Lösungen unterlegen sind, ist kein systematisches Problem dieses Ansatzes. Im Gegenteil: Durch Open Source könnte die im öffentlichen Sektor – an vielen Stellen aktuell nicht vermeidbare – parallele und redundante Entwicklung von Lösungen effizienter gemacht werden.
Während das EfA-Prinzip („Einer für Alle“) aktuell zumindest dazu führt, dass jede der 575 OZG-Leistungen nur einmal entwickelt wird, ergeben sich durch Open Source noch weitere Synergien – insbesondere zwischen den Frontends der unterschiedlichen Antragsassistenten. Damit lassen sich wiederkehrende Probleme innerhalb der unterschiedlichen Anträge mit den gleichen Ansätzen lösen.
Open Source spart in der öffentlichen Verwaltung nicht nur Zeit und Kosten, sondern sorgt auch für eine bessere Konsistenz zwischen den verschiedenen Lösungen.
Digitalisierung der Verwaltung: „Gemeinsam für Alle“
Wenn das OZG sich nun nach der Novelle auch stärker auf behördliche Fachverfahren fokussiert, so ergibt sich nun eine einmalige Chance. Die Teilnehmer*innen an dem Workshop waren sich einig, dass das Prinzip „Gemeinsam für Alle“ ein wichtiger Impuls für die weitere Ausgestaltung der Verwaltungsdigitalisierung ist.
Wir haben diese Forderung bei Nestler UUX Consulting in der Vergangenheit ähnlich formuliert:
Wenn das Eine für alle funktionieren soll, dann müssen auch alle in die Ausgestaltung des Einen eingebunden werden.
Prof. Dr. Simon Nestler
Wie wir die Abhängigkeit von den Herstellern reduzieren
Herr Ganten brachte es in der Diskussion auf den Punkt: Der EfA-Ansatz verfügt über einen zentralen Geburtsfehler. Der Wunsch, eine Lösung – mithilfe von proprietären System – fortan nur noch einmal zu entwickeln, führt uns direkt in eine Welt der Monopole. Letztlich bauen wir mithilfe von öffentlichen Steuergeldern diese Monopole im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung sogar gezielt auf.
Das ist nicht nur fatal – sondern auch unnötig: Wenn der Staat die Entwicklung einer Referenzimplementierung als Open Source Projekt beauftragt, dann kann nach Fertigstellung ein gesunder Wettbewerb zwischen drei bis fünf Herstellern entstehen. Diese entwickeln nicht nur gemeinsam die Lösung weiter, sondern können sich vor allem viel besser durch Themen der UUX und des Service Designs differenzieren: Die beste Projektplanung, der beste Support und die langfristige Kundenbeziehung gewinnen.
Das OZG-ÄndG muss UUX besser messbar machen
Marktwirtschaft kann nur funktionieren, wenn es einen echten Wettbewerb gibt – und der Wechsel zwischen Alternativen nicht eine mehrjährige Migration erfordert.
Was muss sich dafür aus UUX-Perspektive tun? Wir müssen für eine Verbesserung der Employee Experience den Themenkomplex Usability (Gebrauchstauglichkeit) und Barrierefreiheit im OZG-ÄndG unbedingt schärfen. Dafür ist es konkret erforderlich, die Wünsche nach guter UUX echte, messbare Anforderungen zu überführen. Denn nur so kann UUX bei der öffentlichen Vergabe zukünftig eine größere Rolle spielen.
Wir beobachten bei Nestler UUX Consulting aktuell: Erst wenn sich gute UUX für die Hersteller lohnt, wird das zu weitreichenden Aktivitäten in diesem Themenfeld führen. Wir sind davon überzeugt, dass Open Source diese UUX-Ziele an vielen Stellen besser erfüllen kann.
Digitalisierungsprojekte brauchen eine nachhaltige Perspektive
Herrn Ganten macht in der Diskussion dabei auch deutlich: Wir brauchen an dieser Stelle keine explizite Open Source Förderung, sondern wir brauchen eine bessere Vergabe.
Bei diesen verbesserten Vergabeverfahren sollten die Aspekte berücksichtigt werden, die für eine nachhaltige Nutzung der Software in der öffentlichen Verwaltung von zentraler Bedeutung sind. Denn wenn die öffentliche Verwaltung ihre strategischen Ziele in Ausschluss- und Bewertungskriterien überführt, dann werden Open Source Lösungen im Rahmen der öffentlichen Vergabe zukünftig „von ganz alleine“ öfter den Zuschlag erhalten.

Fazit: Digitalisierung muss nachhaltiger und verantwortungsvoller werden
Auch in den weiteren Diskussionen und Workshops klang immer wieder ein Gedanke durch: Wenn Digitalisierung kein Selbstzweck ist, macht dann die Digitalisierung aktuell das, was wir wollen bzw. das, was wir wollen sollten? Ich persönlich sehe diesen Aspekt sehr kritisch: Solange die Geschäftsmodelle großer Konzerne darin bestehen, Menschen möglichst lange auf ihren Plattformen zu halten, um ihnen möglichst viel Werbung ausspielen zu können, kommt unser idealistisches Weltbild schnell an seine Grenzen. Und wir müssen uns unweigerlich auch mit den “großen Fragen” beschäftigen.
Wer fragt, was eine gute Digitalisierung ausmacht, wird sich also früher oder später mit der Frage beschäftigen müssen, was ein gutes Leben auszeichnet. Und erst dann können wir kritisch reflektieren, inwiefern die konkreten Technologien einen Beitrag zu unserem guten Leben leisten. Dabei dürfen wir in Zukunft nicht mehr den Fehler machen, den Verbraucher*innen die Verantwortung zu geben. Unternehmen entwickeln komplexe Muster [4], um die Nutzer*innen in eine psychologische Abhängigkeit zu bringen.
Glauben wir da allen Ernstes, dass die machmal ausgelaugten und willensschwachen Verbraucher*innen mit ein klein wenig mehr Mündigkeit und Achtsamkeit von ganz alleine zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Digitalisierung finden werden?
Weiterführende Links
[1] https://www.tabea-roessner.de
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Screen_Scraping
[4] https://www.amazon.de/Hooked-Produkte-erschaffen-süchtig-machen/dp/3868815368
Disclaimer
Dieser Beitrag greift eine aktuelle politische Diskussion zu der Verzahnung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung auf. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass dieser Impuls an manchen Stellen etwas kontroverser ist, als Sie das von den Blog-Beiträgen von Nestler UUX Consulting sonst gewohnt sind. Das Ziel des Beitrages ist, diesen Diskurs zu Digitalisierung, UUX und Nachhaltigkeit zu initiieren – anstatt ihn zu beenden. Aus Gründen der Transparenz sei außerdem noch erwähnt, dass Prof. Dr. Simon Nestler privat Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen (KV Ingolstadt) ist.
1 Kommentar zu “Nachhaltig by Design – Wie führt UUX zu einer besseren Digitalisierung?”