Im vierten Teil der BFSG-Serie beschäftigen wir uns mit den Nachteilen, Folgen und Risiken, die sich aus der Nichtbeachtung des neuen Gesetzes ergeben. Welche Konsequenzen kann es mit sich bringen, wenn sich Unternehmen nicht an das Gesetz halten? Welche Rechte haben die Verbraucher*innen?
An dieser Stelle empfehle ich Ihnen, zunächst einen Blick in die vorherigen Blogbeiträge zum Thema BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) zu werfen, falls Sie diese noch nicht gelesen haben. Im ersten Beitrag erhalten Sie einen Überblick über das BFSG, im zweiten Beitrag Details zu seinem Anwendungsbereich und im dritten Beitrag Hinweise zur Beachtung und Umsetzung des Gesetzes.
Doch welche Pflichten haben Wirtschaftsakteur*innen nun mit der Einführung des Gesetzes? Ab Juni 2025 müssen sich alle betroffenen Anbieter*innen von Produkten und Dienstleistungen proaktiv darum kümmern, die im BFSG genannten Produkte und Dienstleistungen nur noch barrierefrei anzubieten [1]. Aber was passiert nun, wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben des BFSG halten?
Das BFSG stärkt die Verbraucher*innenrechte
Hervorzuheben ist zunächst, dass mit dem BFSG die Rechte der Verbraucher*innen gestärkt werden. So erhalten Verbraucher*innen Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Rechte und stehen somit nicht alleine da [3].

Dazu erhalten Verbraucher*innen sowie anerkannte Stellen mit der Einführung des Gesetzes künftig eine Reihe von Optionen und Instrumenten, die sie nutzen können, wenn sich ein Unternehmen nicht an die Einhaltung der gesetzlichen Standards hält:
- Zum einen können bei der zuständigen Landesbehörde zur Marktüberwachung Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes beantragt werden. Falls dieser Antrag von der zuständigen Behörde abgelehnt wird, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, wo Verbraucher*innen Klage einreichen können.
- Zum anderen sieht das BFSG auch die Option einer Verbandsklage vor [2]. Dabei können sich Verbraucher*innen “durch einen Verband vertreten lassen – entweder direkt durch Prozessvertretung oder auch über eine sogenannte gewillkürte Prozessstandschaft. Das bedeutet, dass der Verband nicht nur im Namen, sondern an Stelle des Verbrauchers [und der Verbraucherin] handelt.” [3]
Maßnahmen bei Verstößen gegen das BFSG
Auch ein eigenes Verbandsklagerecht für Verbände und qualifizierte Einrichtungen ist vorgesehen [3]. Darüber hinaus können die Marktüberwachungsbehörden bei Verstößen gegen die Barrierefreiheit weitere Maßnahmen gegen das betroffene Unternehmen verhängen.
Die Sanktionen reichen von Nachbesserungen bis zu Geldstrafen
Diese reichen von der Nachbesserung des jeweiligen Produkts oder der jeweiligen Dienstleistung, über die Einschränkung der Bereitstellung, bis hin zur Rücknahme des Produkts bzw. der Dienstleistung vom Markt [1], [2], [3]. Ebenfalls können Bußgelder bis zu 100.000 Euro verordnet werden, falls der Verstoß als Ordnungswidrigkeit eingestuft wird [4], [5].
Somit können Wirtschaftsakteur*innen, die sich nicht um die Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen kümmern, zur Verantwortung gezogen werden [6]. Belangt werden können sowohl Hersteller*innen, als auch Händler*innen und Importeur*innen [1].
Stichprobenartige Kontrollen überwachen die Einhaltung des Gesetzes
Diese Konsequenzen zeigen, dass die Nichteinhaltung des BFSG für die betroffenen Unternehmen nicht empfehlenswert ist, da Nicht-Konformität mit dem Gesetz den Marktüberwachungsbehörden gemeldet werden und zu erheblichen Restriktionen führen kann.
Doch die aktive Meldung von Verstößen aufgrund eines konkreten Anlasses ist nur eine Möglichkeit zur Kontrolle der gesetzlichen Pflichten. Ebenfalls wird die Einhaltung des Gesetzes auch ohne Anlass, d.h. stichprobenartig durch die Überwachungsbehörde, kontrolliert. Konsequenz kann auch hier zum Beispiel die Einstellung der Dienstleistung oder des Produktverkaufs sein [6].
Wer kontrolliert die Einhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes?
Doch wer genau ist für die Einhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes verantwortlich? Im Rahmen der bereits erwähnten Marktüberwachung stellen die einzelnen Bundesländer die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen sicher. Bei dieser Aufgabe erhalten sie Unterstützung von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), die “die Koordinierung zwischen den Bundesländern sowie die Kommunikation mit der Europäischen Kommission und anderen EU-Mitgliedstaaten” [3] übernimmt.
Welche negativen Auswirkungen kann die Nichteinhaltung des BFSG mit sich bringen?
Doch welche konkreten Auswirkungen kann die Nichteinhaltung des BFSG mit sich bringen? Wie bereits erwähnt, kann das Ignorieren des Gesetzes zu Rechtsstreitigkeiten und rechtlichen Konsequenzen führen.
Rechtliche Konsequenzen und finanzielle Sanktionen
Organisationen, die gegen das BFSG verstoßen, können mit Klagen und Rechtsstreitigkeiten konfrontiert werden. Dies wiederum kann finanzielle Sanktionen oder andere rechtliche Konsequenzen zur Folge haben.
Image- und Reputationsschäden
Darüber hinaus kann die Missachtung des BFSG Image- und Reputationsschäden mit sich bringen. Unternehmen und öffentliche Stellen, die die Barrierefreiheitsstandards nicht erfüllen, können einen negativen Ruf erhalten und das Vertrauen von Kund*innen, Partner*innen oder der Öffentlichkeit verlieren. Damit einher geht auch der Verlust von potenziellen Kund*innen und Geschäftsmöglichkeiten.
Geringere Marktdurchdringung
Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen, ältere Menschen, ihre Familien und Unterstützer*innen des Gesetzes könnten Unternehmen und Dienstleister meiden, die keine barrierefreien Angebote haben.
Verstoß gegen Inklusion und Gleichberechtigung
Gleichzeitig kann die Nichtbeachtung des BFSG als Verstoß gegen die gesellschaftlichen Werte der Inklusion und Gleichberechtigung wahrgenommen werden. Dies kann zu negativen Reaktionen in der Öffentlichkeit und zu Forderungen nach Maßnahmen gegen die Verantwortlichen führen. In Zeiten von Social Media und Co. können sich derartige schlechte Nachrichten schnell über das Internet verbreiten und somit leicht ein negatives Licht auf das Unternehmen werfen.
Verhinderung von gesellschaftlicher Teilhabe
Primär schließt man mit der Nichteinhaltung des Gesetzes jedoch Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen von dem betreffenden Produkt bzw. der Dienstleistung aus. Durch diese Form der Diskriminierung werden für diese Menschen vermeidbare Barrieren geschaffen, womit sie von wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens oder Konsums ausgeschlossen werden. Im schlimmsten Fall kann dies sogar zu einer Marginalisierung von Menschen mit Behinderungen führen.
Mangelnde ethisch-soziale Verantwortung
Insgesamt ist es somit wichtig zu betonen, dass die Einhaltung des BFSG nicht nur eine rechtliche Verpflichtung ist, sondern auch eine ethische und soziale Verantwortung mit sich bringt, die Teilhabe und Gleichberechtigung für Menschen mit Behinderungen zu fördern. Die Nichteinhaltung kann nicht nur rechtliche Konsequenzen haben, sondern auch das Image und die Reputation einer Organisation schädigen.
Welche Vorteile können sich aus der Einhaltung des BFSG ergeben?
Wie bereits festgestellt, erspart die Einhaltung des BFSG den Wirtschaftsakteur*innen erhebliche Konsequenzen durch die Marktüberwachungsbehörden. Auf der anderen Seite kann es für Unternehmen sogar sehr vorteilhaft sein kann, sich um die Einhaltung der Barrierefreiheitsstandards zu bemühen.
Barrierefreiheit führt zu Wettbewerbsvorteilen
Beispielsweise können diejenigen Unternehmen, die sich bereits in der Vergangenheit um Barrierefreiheit bemüht haben, durch diese Bemühungen Wettbewerbsvorteile erlangen. Unternehmen, die sich nicht mit den Anforderungen der Barrierefreiheit auseinandersetzen bzw. sich nicht auf den Stichtag vorbereiten, haben dementsprechend Wettbewerbsnachteile, da ein erheblicher Nachholbedarf entsteht.
Um nicht mit Konsequenzen rechnen zu müssen, ist es für diese Unternehmen notwendig, Zeit und Arbeit in die Umgestaltung ihrer Produkte und Dienstleistungen zu investieren, während andere bereits die geforderten Standards erfüllen. [7]
Die Einhaltung des BFSG kann zu innovativen Lösungen führen
Daneben kann die Einhaltung des BFSG Unternehmen auch dazu anregen, innovative Lösungen zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Gesetzes und den entsprechenden Anpassungen kann zu innovativen Produkte oder Dienstleistungen führen.

Im besten Fall können diese einen entscheidenden Marktvorteil bieten. Und durch die Entwicklung von Produkten oder Dienstleistungen, die für alle Nutzer*innen gebrauchstauglich sind, können ebenfalls neue Kund*innen gewonnen werden. Durch die barrierefreie Angebote kann dann wiederum auch eine verbesserte Kund*innenbindung erreicht werden. [8]
Wissensvorsprung führt zu besseren Entscheidungen
Zusätzlich kann es sein, dass den Unternehmen Compliance-Herausforderungen bevorstehen, da die Mitarbeiter*innen geschult und sensibilisiert werden müssen, um sicherzustellen, dass die Standards eingehalten werden. Auch die technische Komplexität der Produkte sollte nicht unterschätzt werden. Die Umsetzung von Barrierefreiheitsstandards erfordert oft technisches Fachwissen und Expertise.
Insbesondere im Bereich der Informationstechnologie und der digitalen Kommunikation kann es schwierig sein, die technischen Anforderungen vollständig zu verstehen und umzusetzen. Dies kann zu Unsicherheiten und erheblichen Herausforderungen führen, welche die Umsetzungsdauer verlängern.
Frühzeitige Planungsprozesse sind bei der Anpassung der Produkte erforderlich
Zudem kann die Umsetzung von Barrierefreiheitsmaßnahmen mit erheblichen Kosten verbunden sein, insbesondere für Unternehmen und öffentliche Stellen. Es können hohe Investitionen in die Anpassung der Produkte und Dienstleistungen erforderlich sein. Dies kann für einige Organisationen eine finanzielle Belastung darstellen und sollte daher besser frühzeitig in die Planungsprozesse miteinbezogen werden. Auf diese Weise laufen Unternehmen nicht Gefahr, zum Stichtag 2025 in eine ernsthafte (finanzielle) Krise zu geraten.
All diese Punkte sollen aufzeigen, welche Vorteile eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Anforderungen des BFSG hat. Auch wenn das Gesetz erst 2025 in Kraft tritt, sollten sich Unternehmen bereits jetzt darauf vorbereiten. Denn der momentan noch in der Zukunft liegende Stichtag sollte nicht bis zur letzten Minute ausgenutzt werden. Gerade für kleinere Organisationen mit begrenzten Ressourcen kann es einige Zeit in Anspruch nehmen, die notwendigen Anpassungen und Änderungen vorzunehmen.
Kritik am BFSG
Obwohl das BFSG versucht auf die Bedürfnisse aller Menschen einzugehen, stößt es bei verschiedenen Akteur*innen und Fachverbänden, wie dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, nach wie vor auf Kritik. Auf diese soll im folgenden noch kurz eingegangen werden.
Mangelnde Durchsetzungsmöglichkeiten
So ist zum Beispiel ein häufiger Kritikpunkt, dass das BFSG nicht ausreichend durchgesetzt wird. Es würden oft klare Mechanismen und Sanktionen fehlen, um sicherzustellen, dass Unternehmen und öffentliche Stellen die Barrierefreiheitsstandards tatsächlich umsetzen.
Zu große Interpretationsspielräume
Außerdem wird argumentiert, dass die im Gesetz festgelegten Standards unklar und nicht detailliert genug sind. Dies kann zu Interpretationsspielräumen führen und die Konsistenz und Qualität der barrierefreien Maßnahmen beeinträchtigen.
Minimalumsetzung der europäischen Vorgaben
Laut der Aussage der Verbände sei das BFSG eine mutlose Minimalumsetzung der europäischen Vorgaben. Die Umsetzung würde nicht weit genug gehen und zu viel Ausnahmen ermöglichen [9]. Durch die Zuständigkeit der Länder sei außerdem nicht garantiert, “dass alle Regelungen des BFSG bundesweit gleichförmig um- und durchgesetzt werden” [10].
Fristen sind zu großzügig bemessen
Auch wenn die Übergangsfrist für einige Unternehmen kaum ausreicht, bemängeln Kritiker gleichzeitig, dass die Umsetzung des BFSG zu lange dauert. Die Fristen für die Anpassung von Produkten und Dienstleistungen werden teilweise als zu großzügig angesehen, wodurch die Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen verzögert werden.
Kosten sind für kleinere Unternehmen zu hoch
Ebenfalls wird argumentiert, dass die Kosten für die Umsetzung der Barrierefreiheitsmaßnahmen, insbesondere für kleinere Unternehmen, zu hoch seien. Dies können zu finanziellen Belastungen führen und den Zugang zu Ressourcen einschränken.
Expert*innen wurden bei der Ausgestaltung nicht ausreichend involviert
Einige Kritiker bemängeln außerdem, dass Menschen mit Behinderungen bei der Ausarbeitung des BFSG und der Festlegung der Standards möglicherweise nicht ausreichend beteiligt waren. Es wird gefordert, ihre Perspektiven und Erfahrungen besser einzubeziehen, um effektive und angemessene Lösungen zu finden. [9]
Wir können nur jedem Unternehmen raten sich frühzeitig mit dem BFSG auseinanderzusetzen
Wie wir gesehen haben, bringt die Nichteinhaltung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes eine Vielzahl an Problemen, Risiken und Konsequenzen mit sich. So kann die Missachtung des Gesetzes zu Ausschluss, Diskriminierung und weiterer Marginalisierung von Menschen mit Behinderungen führen.
Rechtsstreitigkeiten, finanzielle Strafen und rechtliche Konsequenzen drohen denjenigen, die gegen das Gesetz verstoßen. Unternehmen und öffentliche Stellen riskieren Image- und Reputationsschäden sowie den Verlust potenzieller Kund*innen und Geschäftsmöglichkeiten. Die Nichteinhaltung des BFSG steht im Widerspruch zu gesellschaftlichen Werten der Inklusion und Gleichberechtigung, was zu negativen öffentlichen Reaktionen führen kann. Zudem verpassen Organisationen die Chance, durch Innovation und Kund*innenbindung zu profitieren.
Wir können also nur jedem Unternehmen raten, sich frühzeitig mit dem Gesetz auseinanderzusetzen und die eigenen Produkte oder Dienstleistungen anzupassen. Am einfachsten ist es aber, die Barrierefreiheitsanforderungen in den aktuellen Entwicklungsprozess eines Produkts miteinzubeziehen und somit nicht erst im Nachgang das gesamte Produkt verändern bzw. anpassen zu müssen.
Möchten auch Sie Ihre Anwendung auf Barrierefreiheit testen, wissen aber nicht, wo Sie anfangen sollen, unterstützen wir bei Nestler UUX Consulting Sie gerne bei dieser Herausforderung. Bei Bedarf können Sie beispielsweise unser Siegel #UUXFürAlle nutzen, um die Barrierefreiheit Ihres Produktes rechtskonform nachzuweisen.
Die Einhaltung des BFSG ist auch eine ethische und soziale Verantwortung
Es ist wichtig zu erkennen, dass die Einhaltung des BFSG nicht nur eine rechtliche Verpflichtung ist, sondern auch eine ethische und soziale Verantwortung.
Durch die Schaffung barrierefreier Angebote können Organisationen dazu beitragen, die Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen oder temporären Einschränkungen, älteren oder kranke Menschen zu fördern. Die Nichteinhaltung hingegen verstärkt Barrieren, schadet der Reputation und steht im Widerspruch zu den Grundwerten einer inklusiven Gesellschaft.
Es liegt im Interesse aller, die Barrierefreiheit zu fördern und sicherzustellen, dass alle Menschen Zugang zu wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens haben. Die Einhaltung des BFSG ist somit ein Schritt in Richtung einer inklusiven Gesellschaft, in der die Rechte und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen respektiert und geschützt werden.
Weiterführende Links
[3] https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html
[4] https://www.schaffrath.de/magazin/detail/barrierefreiheit-website-bitv-wcag-test-barrierefreiheitsstaerkungsgesetz-bfsg
[5] https://www.verdure.de/magazin/strategie/barrierefreiheitsstarkungsgesetz-websites-2025-bfsg-bitv-wcag/
[7] https://www.onlinehaendler-news.de/e-recht/gesetze/137754-barrierefreiheit-weckruf-online-handel
[9] https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz
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